Rio plus 20

Vom 20. bis 22. Juni 2012 findet in Rio de Janeiro ein "Weltgipfel für nachhaltige Entwicklung" statt, zwanzig Jahre nach dem "Erdgipfel" in derselben brasilianischen Stadt. Was ist seitdem erreicht worden? Die Bilanz fällt zwiespältig aus: Ohne den "Erdgipfel" wäre die globale Umweltsituation zweifellos weit schlechter. Es gibt eine Reihe wichtiger Konventionen - so etwa die Klimarahmenkonvention oder die Abkommen zum Schutz der Artenvielfalt und zur Bekämpfung der Wüstenbildung. Auch ist weltweit das Bewußtsein für Umweltprobleme mit unzähligen Initiativen vor Ort gewachsen. Andererseits sind die ergriffenen Maßnahmen oft bestenfalls halbherzig, viele Staaten verweigern ihre Mitarbeit, und eine ganze Reihe von Problemen ist noch nicht einmal angegangen. Die Gefahr eines globalen ökologischen Kollapses ist daher trotz mancher Fortschritte alles andere als gebannt, wie die mühseligen Verhandlungen zu einem Nachfolgeabkommen zum Schutz des Weltklimas zeigen.

Die Konferenz der Vereinten Nationen in Rio, an der zahlreiche Staatschefs teilnehmen werden, soll daher neue drängende Herausforderungen thematisieren und politische Unterstützung für ein gemeinsames Handeln sichern. Neben einer Vielzahl von Einzelfragen (u. a. Wasser, Boden, Wald, Biodiversität, Energiepolitik, Abfall) sollen dabei zwei Themen im Zentrum stehen, nämlich eine "Grüne Wirtschaft" (green economy) und die Schaffung eines wirksamen institutionellen Rahmens für eine "nachhaltige Entwicklung" (sustainable development).

Es herrscht weithin Übereinstimmung, daß sich die vielfältigen und eng miteinander verflochtenen Umweltprobleme nicht mit einigen kleineren Korrekturen lösen lassen, sondern eine Abkehr vom gegenwärtigen Zivilisationsmodell verlangen. Die wachstumsorientierte, ressourcen- und kohlenstoffintensive Wirtschaftsweise der Industrieländer ist nicht zukunftsfähig, gerade weil sie von immer mehr Ländern, allen voran den Schwellenländern wie China und Indien, recht erfolgreich übernommen wird. "Nicht 'Einholen und Überholen' darf die Maßgabe sein" (Cornelia Füllkrug-Weitzel), wenn auch künftige Generationen menschenwürdig leben können sollen. Rio soll daher den Weg zu einem "grünen" Wirtschaften weisen, zu nachhaltigen Produktions- und Verbrauchsmustern, welche die Endlichkeit natürlicher Ressourcen berücksichtigen und zugleich die Armut weltweit reduzieren. Der "Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen" spricht in seinem Jahresgutachten 2011 von einer "globalen Transformation" wegen "multipler Krisen". Bisher fehlt freilich ein internationaler Konsens, was eine grüne Wirtschaftsweise ausmacht und wie sie anzugehen ist.

Von entscheidender Bedeutung wird es sein, dieses Programm mit der Zielsetzung der Armutsbekämpfung zu verknüpfen und alle Entwicklungsländer angemessen an den Verhandlungen zu beteiligen. Die Klimakonferenzen der letzten Jahre sind nicht zuletzt an erheblichen Defiziten diesbezüglich gescheitert. Es geht um eine "inklusive Nachhaltigkeit" (Jan Pronk), also eine Umweltpolitik, welche den Interessen der Armen hohe Priorität gibt. Ziel muß ein neues Entwicklungsparadigma sein, das nicht nur einer privilegierten Minderheit von Ländern und Menschen Wohlstand erlaubt. Der "Bericht über die menschliche Entwicklung 2011" des UNDP (Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen) verweist darauf unter der Überschrift "Nachhaltigkeit und Gerechtigkeit: Eine bessere Zukunft für alle". Die Rio-Konferenz will darum die Millenniums-Entwicklungsziele der Vereinten Nationen in ihr Programm integrieren. Dies wird jedoch nur dann reale Bedeutung haben, wenn man die Frage der globalen Umverteilung mit Blick auf das Weltgemeinwohl nicht ausklammert.

Leichter sind Fortschritte bezüglich einer institutionellen Reform der globalen Umweltpolitik zu erreichen. Dafür gibt es zahlreiche Vorschläge, wobei vor allem zwei Alternativen diskutiert werden: eine institutionelle Aufwertung des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UNEP) oder ein "Rat für nachhaltige Entwicklung" mit klaren und überprüfbaren Umweltzielen sowie weitreichenden Kompetenzen. Angesichts von etwa 500 internationalen Umweltabkommen mit vielfältigen Institutionen ist dies eine unerläßliche Voraussetzung für eine effektive Umweltpolitik. Außerdem läßt sich nur so das Gewicht dieses Politikfeldes gegenüber mächtigen Akteuren wie dem Internationalen Währungsfonds (IWF) oder der Welthandelsorganisation (WTO) stärken.

Angesichts eines bisher recht unverbindlichen Entwurfs des Abschlußdokuments darf man keine zu großen Erwartungen haben. Unter zivilgesellschaftlichen Akteuren herrscht daher eher Skepsis bis hin zu Boykottüberlegungen. Dennoch ist diese Konferenz wichtig, weil sie zumindest einige Leitplanken abstecken kann, internationale Aufmerksamkeit gerade in den Entwicklungsländern schafft und ein Verzicht ein Signal der Resignation wäre.

Die Enttäuschung über die unzureichenden Ergebnisse vieler Weltkonferenzen ist aber auch heilsam. Gegenwärtig gibt es fast überall auf der Welt einen Strategiewechsel hin zu mehr dezentralen Initiativen, ganz besonders in der Klimapolitik. Dies bedeutet einen Abschied vom Traum universaler Abkommen, mit denen man alle Länder auf bestimmte Ziele verbindlich festlegen könnte. Dies ist auch ein Umdenken gegenüber einem naiven Verständnis von Globalisierung. Vermutlich ist ein solches Vorgehen in vielen kleinen Schritten der einzig realistische Weg. Man muß dabei versuchen, die Veränderungen von unten voranzutreiben, indem man auch die Zivilgesellschaft, Unternehmen wie Nichtregierungsorganisationen (NGOs), zu Akteuren macht. Nur so kann der Schritt vom Denken zum Handeln gelingen. Hier können Religionen mit ihrem reichen Erbe einen wichtigen Beitrag leisten, indem sie eine handlungsleitende Ethik des rechten Maßes als institutionen- wie tugendethisches Leitbild nicht nur verkünden, sondern auch Vorreiter bei der Umsetzung sind.

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