Religiöse Begabungs- und Begabtenförderung

In der Musik, im Sport, in den Wissenschaften und in der Kunst werden Begabungen in der Breite und Hochbegabte an der Spitze besonders gefördert. Wer auch in Zukunft Orchester wie die Berliner Philharmoniker hören will, muss darauf bedacht sein, dass Begabungen geweckt und Talente eigens gefördert werden.

Musikalisch sind sicherlich mehr Menschen, als sie selber glauben. Diese Grundbegabung entdecken zu helfen ist Aufgabe von Eltern, Kindergärten und Schulen. Nicht wenige werden jedoch feststellen, dass ihre musikalische Begabung eher passiver Art ist. Sie hören gerne Musik, treffen aber nicht die richtigen Töne oder kommen immer wieder aus dem Takt, wenn sie selber versuchen zu musizieren. An diesen Menschen „herumzudoktern“ und sie mit Klavier oder Taktell zu plagen, hat wenig Aussicht auf Erfolg - man erreicht dabei meist das Gegenteil. Die Gruppe der Musikalischen ist so heterogen wie die der Unmusikalischen. Um ihre Freude am Musizieren zu mehren, bedarf es unterschiedlicher Angebote - je nach Begabung: Die einen singen im Chor, andere spielen in einem kleinen Ensemble, wieder andere in einem großen Orchester. Zu den Hochbegabten zählen die Solisten, die es zur Virtuosität bringen. Das gelingt ihnen, weil sie viel Talent mitbringen, fleißig üben und richtig gefördert werden.

Am Beispiel der Musik zeigt sich, dass Begabungs- und Begabtenförderung einander ergänzen. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung schreibt auf seiner Website: „Die Bundesregierung setzt auf das Beste, was wir in diesem Land haben: Engagierte Menschen, die ihre Talente und Fähigkeiten für Gesellschaft und Wirtschaft einsetzen. Sie zu fördern, ist eine Investition in die Zukunft unseres Landes. Ob in Schule, Studium oder Beruf - die Bundesregierung hat die Förderung unterschiedlicher Begabungen und Talente zu einem ihrer bildungspolitischen Ziele bestimmt. Besondere Begabungen benötigen besondere Förderung.“ Dann wird die Vielfalt dieser Förderung aufgezählt: das Deutschlandstipendium, die Begabtenförderungswerke sowie das Aufstiegsstipendium für Studierende. Knapp 70 000 Stipendien werden jährlich von öffentlicher Hand erteilt, 2300 Stipendienprogramme schütten jährlich mehr als 600 Millionen Euro an Fördermitteln aus.

Wie steht es mit einer religiösen Begabungs- und Begabtenförderung? Dirk Kaesler stellt in seiner Laudatio zum 80. Geburtstag Jürgen Habermas (2009) als „religiös unmusikalisch“ vor. Über Religion spräche er aus der Distanz der Beobachtung und nicht aus der Nähe eigener religiöser Erfahrung. Er anerkenne, dass es Menschen gibt, die im Gegensatz zu ihm „religiös musikalisch“ sind, die ihren Glauben gekonnt oder gar virtuos praktizieren. Was sie tun, hält er weder für „unsinnig“ noch für „blödsinnig“, eher für „sachlich erforderlich“, ja vielleicht sogar für „notwendig“. Wohin führt es, würde man versuchen, Menschen wie Habermas „religiös zu domestizieren“?

Neben den „religiös Unmusikalischen“ gibt es die „religiös Musikalischen“. Paulus war überzeugt davon, dass deren Musikalität sehr verschieden ausgeprägt ist: „Wir haben unterschiedliche Gaben, je nach der uns verliehenen Gnade“ (Röm 12,6) - was allerdings nicht bedeutet, dass die einen bessere Gläubige wären als die anderen. Könnte es nicht auch für die Kirche gut sein, die Vielfalt „religiöser“ Begabungen unterschiedlich anzusprechen und zu fördern? Mancherorts wird versucht, bei der Kommunion- oder Firmkatechese zu differenzieren, was Angebote und Anforderungen anbelangt. Dabei nicht ins Werten zu geraten, ist nicht ganz leicht. Dennoch käme es den unterschiedlichen Bedürfnissen entgegen und würde den jeweiligen Begabungen eher gerecht.

Auch unter den „religiös Musikalischen“ gibt es besonders Begabte: Menschen, deren religiöses Interesse tiefer geht und deren religiöse Praxis nach intensiveren Formen verlangt. Nicht alle von ihnen studieren Theologie oder treten in ein Priesterseminar oder in ein Noviziat ein. Wie und wo jedoch fördert Kirche diese an Glaubenslehre und -praxis besonders interessierten und engagierten jungen Menschen, damit sie es im religiösen Leben zu einer gewissen Virtuosität bringen können? Karl Rahner SJ hat einmal das Fehlen von Mystagogen moniert: „geistliche Väter“ (und Mütter), „die das Charisma einer Einweisung in die Meditation“ besäßen. Was er in der Priesterausbildung vermisste, lässt sich leicht auf die Begabtenförderung übertragen.

Ein bemerkenswertes Beispiel kirchlicher Begabtenförderung in Deutschland ist das Cusanuswerk, das seit 1956 über 8000 hochbegabte katholische Studierende gefördert hat - ihr prominentester ehemaliger Stipendiat, Bundestagspräsident Norbert Lammert, hielt im Mai die Festrede zum 60-jährigen Bestehen. Die Stiftung Ignatianische Jugendpastoral stellt ein weiteres, noch junges Pflänzchen der Förderung religiös Begabter dar: In einem Stipendienprogramm versammelt sie junge Frauen und Männer, die sich für andere und mit anderen engagieren. Sie bringen ein spirituelles Interesse mit und wollen religiös wachsen. Neben einer überschaubaren materiellen ist die ideelle Förderung besonders wichtig. Jährliche Exerzitien (Geistliche Übungen) helfen den Stipendiaten, geistig und geistlich zu reifen, um als mündige Christen Verantwortung zu übernehmen für ihr Leben - in Familie, Beruf, Gesellschaft und Kirche.

Es ist zu wünschen, dass Kirche im Kontext religiöser Begabungs- und Begabtenförderung analog zur Bundesregierung sagen kann: „Die Kirche setzt auf das Beste, was wir in unseren Diözesen und Gemeinden haben: engagierte Menschen, die ihre Talente und Fähigkeiten für das Reich Gottes und in der Welt einsetzen. Sie zu fördern, ist eine Investition in die Zukunft, nicht nur unseres Glaubens. Ob in Schule, Studium oder Beruf - die Kirche hat die Förderung unterschiedlicher Begabungen zu einem ihrer Ziele bestimmt. Besondere Begabungen benötigen besondere Förderung.“

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