Gut behütet, funktional versorgt oder einfach vernachlässigt?Altenpflege zwischen pastoralem Anspruch und kollektiver Überforderung

Demographischer Wandel und soziale Veränderungen stellen schon heute die Existenzsicherung pflegebedürftiger alter Menschen in Deutschland vor kaum mehr zu meisternde Probleme. Professor Andreas Wittrahm, Leiter des Bereichs "Facharbeit und Sozialpolitik" des Caritasverbandes für das Bistum Aachen, klagt den Beitrag der christlichen Diakonie ein.

"Es gibt realistisch für die Zukunft der Altenpflege nur drei Möglichkeiten: Entweder wir importieren massenhaft Pflegekräfte, oder wir exportieren die Alten dorthin, wo man sich um sie kümmern kann, oder wir überlassen sie (und ihre Angehörigen) auf Dauer sich selbst" - so schätzt ein Verantwortlicher eines Wohlfahrtsverbandes die Perspektiven für die Existenzsicherung pflegebedürftiger alter Menschen in unserem Lande ein.

Selbst wenn es sich hier um eine bewußte Provokation handelt - der Sozialstaat Bundesrepublik Deutschland steuert hinsichtlich der Versorgung der alten Mitbürgerinnen und Mitbürger aufgrund der demographischen und sozialen Veränderungen auf eine Krise (im wörtlichen Sinn: auf einen Wendepunkt) zu. Denn die Lösung dieser Aufgabe erfordert die Anstrengungen aller professionellen und zivilgesellschaftlichen Kräfte, verlangt zugleich aber eine Besinnung, was die Würde des Lebens im Alter ausmacht und was die Bewahrung dieser Würde jedem einzelnen und dem Gemeinwesen insgesamt wert ist (und kosten darf). Gefordert ist darüber hinaus nicht nur ein hoher Einsatz materieller und personeller Ressourcen - in Konkurrenz zur Sicherung anderer gesellschaftlicher Werte und Ziele -, sondern vor allem auch die Bereitschaft zur gemeinsamen Erarbeitung neuer Lösungen jenseits der eingangs genannten Alternativen. So steht unsere Gesellschaft vor einer Nagelprobe auf ihre humanen Grundwerte und ihre wohlfahrtsstaatliche Erneuerungsfähigkeit, denn mit einem "Mehr des Gleichen", da ist dem zitierten Experten recht zu geben, wird es nicht gehen.

Auf diesem Hintergrund sollen im folgenden (1) die quantitativen und qualitativen Ansprüche detaillierter beschrieben werden. Sodann gilt es, (2) die aktuellen und sich künftig abzeichnenden Lösungsmöglichkeiten darzustellen und (3) sie zu bewerten, um am Ende abzuschätzen, (4) welchen Beitrag die christliche Diakonie, ob in gemeindlicher oder verbandlicher Verfaßtheit, dazu beizutragen vermag.

Die Kehrseite des langen Lebens: Angewiesenheit auf Achtsamkeit, Unterstützung und Pflege im hohen Alter

In vielen Regionen der Welt, besonders in den mittel-, nord- und westeuropäischen Ländern, entwickeln sich aufgrund komplexer Folgen der Modernisierung "Gesellschaften des langen Lebens". Hier setzt sich die kontinuierliche Erhöhung der durchschnittlichen Lebenserwartung immer noch ungebrochen fort1.

Um die Konsequenzen dieser Veränderung für das Leben im Alter abzuschätzen, ist allerdings weniger die durchschnittliche Lebenserwartung insgesamt als vielmehr die fernere Lebenserwartung ab 60 Jahren genauer zu betrachten: Sie betrug 2009 in Deutschland für Frauen 24,8 Jahre und für Männer 21 Jahre. Bleibt die Entwicklung stabil, werden 60jährige Frauen in knapp zehn Jahren noch 26 Jahre und im Jahr 2040 sogar 28 weitere Jahre zu leben haben; 60jährige Männer haben 2020 im Durchschnitt noch gut 22 Jahre und 2040 24,5 Jahre vor sich2. Das sind zunächst erfreuliche Entwicklungen, weil mit diesem enormen Anstieg der Lebenserwartung voraussichtlich auch Verbesserungen des Gesundheitszustandes - subjektiv wie objektiv - einhergehen und auch für die Zukunft erwartet werden3.

Alter, sogar Hochaltrigkeit (also ein Alter jenseits der 80) ist weder hinreichende noch notwendige Voraussetzung für chronische Erkrankungen, ob des Körpers oder des Geistes. Anderseits wirken sich mit zunehmenden Lebensjahren die Belastungen des bisherigen Lebenslaufs vermehrt dysfunktional aus. Die Fehler in der Zellteilung nehmen zu und können vom Organismus immer schwerer kompensiert werden. Die Wahrscheinlichkeit, ernst- und dauerhaft zu erkranken und auf Hilfe angewiesen zu sein, steigt also im Alter, wenn auch nicht wegen des Alters: Von den älter als 80jährigen ist jeder Dritte spürbar erkrankt. 2009 waren allerdings nicht mehr als etwa 1,15 Millionen Frauen und Männer der damals gut vier Millionen Angehörigen dieser Altersgruppen als pflegebedürftig gemäß den Regeln der Sozialen Pflegeversicherung (SGB XI) eingestuft - das entspricht gerade einmal 1,5 Prozent der Gesamtbevölkerung.

Ob die steigende Lebenserwartung zu einer Erhöhung der Krankheits- und Pflegebedürftigkeitsquote unter den immer älteren Frauen und Männern führt, ist keineswegs ausgemacht. Entsprechenden Prognosen aus Biologie und Medizin steht die ebenfalls gut begründete "Kompressionshypothese" gegenüber, die davon ausgeht, daß sich parallel zu der steigenden Lebenserwartung auch die Gesundheit im Alter verbessert und der höchste Einsatz an medizinischen und pflegerischen Ressourcen immer im letzten Lebensjahr anfällt, wann auch immer Menschen dieses letzte Jahr erleben4.

Der Problemdruck entsteht an anderer Stelle: Aufgrund der demographischen Entwicklung der Nachkriegszeit sind in den Jahren zwischen 1950 und 1970 in Deutschland besonders viele Menschen geboren worden, die von Dezimierungen durch Kriege verschont blieben und in den Genuß der immer besseren Lebensbedingungen kamen. Wenn sie ab 2030 ins hohe Alter aufrücken, werden sie den Anteil der Pflegebedürftigen allein aufgrund ihrer hohen Ausgangszahl voraussichtlich mehr als verdoppeln auf dann etwa 2,5 Millionen pflegebedürftige Menschen im höheren und hohen Alter - bei einer auf circa 75 Millionen insgesamt gesunkenen Bevölkerung.

Auch wenn die einfache - und recht zuverlässige - zahlenmäßige Gegenüberstellung von Pflegebedürftigen und gesamter Bevölkerung den Handlungsbedarf schon eindrucksvoll dokumentiert, gilt es doch, spezielle strukturelle Herausforderungen noch genauer zu beschreiben.

Strukturelle Veränderungen und Herausforderungen

Da ist zunächst der Wandel der Familienstrukturen in den Blick zu nehmen: Durch die zunehmende Auflösung der Familien in der zweiten Lebenshälfte sowie die drastische Abnahme der Kinderzahl und schließlich die erhöhte Mobilität sowie die Konkurrenz zwischen Familien- und außerhäuslicher Berufstätigkeit reduziert sich die Verfügbarkeit der Familienangehörigen als dem "größten Pflegedienst" massiv. Die künftige Versorgung der Alten kann deutlich weniger auf die selbstverständliche Familientätigkeit zählen als noch in der Gegenwart und bedarf eines erheblichen Ausbaus zumindest der familienergänzenden, aber auch -ersetzenden Dienste5.

Weiter zeichnet sich bereits gegenwärtig eine starke Stadt-Land-Differenzierung ab: Gerade in dünner besiedelten ländlichen Regionen verbleiben alte Frauen und Männer nicht nur wegen ihrer biographischen und sozialen Bindungen, sondern auch, weil häufig ihr Vermögen in selbstgenutztem Wohneigentum gebunden ist. Ein Aufgeben dieses Eigentums kommt also aus emotionalen wie aus wirtschaftlichen Gründen nicht infrage, zugleich steht kaum eine Infrastruktur für haushaltsnahe Dienstleistungen, Pflege und medizinische Versorgung zur Verfügung. Noch findet sich zwar eine deutlich höhere informelle Unterstützung durch Angehörige und Nachbarn als in der Stadt, doch die fortschreitende Landflucht insbesondere in den nördlichen und östlichen Regionen, aber auch etwa in der Eifel oder im Südschwarzwald wird diese Kapazitäten in mittlerer Zukunft massiv reduzieren.

Schließlich ist die erste Alterskohorte der Arbeitsmigranten aus dem Süden und Osten im Alter der erhöhten Unterstützungs- und Pflegebedürftigkeit angekommen. In dieser Gruppe vollziehen sich, wenn auch etwas abgemildert und verzögert, ähnliche familiäre Differenzierungsprozesse wie in der deutschen Bevölkerung. Hinzu kommt aber, daß diese alten Frauen und Männer aufgrund ihrer überdurchschnittlich belastenden Berufstätigkeit mit erhöhten Gesundheitseinschränkungen zu tun haben und wegen ihrer häufig geringen deutschen Sprachkenntnisse, die zudem mit dem hohen Alter verblassen, auf muttersprachliche Betreuung angewiesen sind.

Eine angemessene Versorgung muß komplexer sein

Doch nicht nur aufgrund struktureller Veränderungen in der Zusammensetzung der Bevölkerung steigt die Komplexität einer angemessenen Versorgung der alten Frauen und Männer. Mit der Hochaltrigkeit nimmt die Zahl derer zu, die von Erkrankungen betroffen sind, welche das Leben schwer machen: Erkrankungen des Skeletts und der Muskulatur, die nach ständiger mühsamer Übung verlangen, Erkrankungen des Verdauungsapparats, die eine aufwendige Körperhygiene erfordern, und nicht zuletzt die dementiellen Erkrankungen, die nicht nur eine Behütung der alten Menschen erfordern, sondern vor allem auch veränderte Kommunikationsformen notwendig machen. Bedürfnisse wandeln sich, Nahrung, Flüssigkeit, Schlaf erhalten andere Bedeutungen als in früheren Lebensphasen. Der Wunsch nach Geselligkeit verschwindet nicht, nimmt aber veränderte Formen an und kann von den Betroffenen vor allem kaum noch aktiv gestaltet werden. Und das Ende ist in vielen Fällen ungewisser denn je.

In der Summe heißt dies: Ein Leben im hohen Alter - auch mit schweren chronischen Erkrankungen - bedeutet keinesfalls ausschließlich fragwürdigen Kampf ums "Überleben". Es kann auch weiterhin ein "gutes", erfülltes Leben, sogar mit produktiven Phasen sein, vorausgesetzt, der Betroffene nimmt die entsprechende Herausforderung zur erneuten Entwicklung an und erfährt nicht nur eine kompetente Pflege und Versorgung, sondern auch eine entsprechende Begleitung durch Menschen, die - ob beruflich oder nicht - gut qualifiziert sind, den Sinn dieser Lebensphase und damit die Existenz der pflegebedürftigen Menschen anerkennen und in ihren Anstrengungen wiederum gewürdigt werden6.

Gerade hinsichtlich des Lebens mit Demenz haben Praxisforscher in den vergangenen Jahren deutliche Fortschritte gemacht, um die Welt von fortgeschritten dementiellen Menschen kennen zu lernen, zu erfahren, was ihnen gut tut und was sie ängstigt und ihre Lebensqualität beeinträchtigt. Wissen um die je eigene Form der Kommunikation, Sensibilität in der Begegnung, Freude am basalen zwischenmenschlichen Austausch und schließlich die Bereitschaft, die eigenen Maßstäbe des gelingenden, des produktiven Lebens in Frage zu stellen - so lauten die Voraussetzungen, um in "Koproduktion" mit Menschen mit Demenz die Bedingungen für ein gutes Leben herzustellen7.

Gerade diese Erkenntnisse machen auf einen letzten Faktor aufmerksam, den es bei der Vermessung der Erfordernisse und Möglichkeiten gegenwärtiger Altenpflege zu beachten gilt: Mit dem Wissen und den Möglichkeiten einer guten Gestaltung des Lebens im Alter steigen die Ansprüche - der künftig Betroffenen, der Angehörigen, die vielfach die Sorge für ihre Alten delegieren (müssen), und auch der professionellen Pflegenden. Zu wissen, was möglich ist, läßt die mögliche Unzulänglichkeit realer Bedingungen aufgrund bescheidener Ressourcen um so härter erleben. Hinzu kommt, daß dort, wo Dienstleistungen familiäre Dienste ergänzen oder ersetzen, objektivierte Vorschriften die Qualität sichern sollen. Der gegenwärtige Streit um die Pflegetransparenzverordnung macht genau dieses Dilemma deutlich, die hochkomplexe zwischenmenschliche Tätigkeit der Pflege mit Kennzahlen des Verbraucherschutzes zu messen, ohne daß sich daraus Konsequenzen auf den Umfang der Ressourcen ergäben.

Schließlich wird dort, wo vieles möglich ist, auch stets die Gerechtigkeitsfrage aufgeworfen: Für relativ wenige vermögende alte Menschen sind Lebensbedingungen möglich, die vielen anderen nicht zur Verfügung stehen. Unterschiede in den Lebensverhältnissen summieren sich im Lebenslauf, und im hohen Alter und bei Pflegebedürftigkeit sind einkommensarme alte Frauen und Männer noch weniger in der Lage, die fehlenden Mittel zu kompensieren. Eine angemessene Grundversorgung ist deshalb für den Sozialstaat unbedingtes Gebot.

Darum ist im nächsten Schritt zu fragen, welche Versorgungs- und Pflegeangebote im Moment für wen zur Verfügung stehen, und wie weit diese Angebote den Kriterien der gegenwärtigen Lebensgerechtigkeit sowie der Zukunftsfestigkeit entsprechen.

Zwischen Versorgungsburg und Demenz-WG: In die Versorgungskonzepte ist Bewegung gekommen

Im Jahr 1995 setzte der damalige Sozialminister Norbert Blüm als vierte Säule der gesetzlichen Sozialversicherung die soziale Pflegeversicherung durch8. Drei wesentliche Grundentscheidungen zur finanziellen Absicherung der Pflege wurden damals getroffen: Erstens wurde dieser Zweig der Sozialversicherung als Sozialgesetzbuch XI eigenständig neben die Krankenversicherung (SGB V) gesetzt, was bis heute immer wieder Abgrenzungsprobleme bei der sogenannten "Behandlungspflege" sowie die Verschiebung von Kosten für die medizinische Rehabilitation verursacht. Außerdem wurde diese Versicherung, deren gemeinsame Finanzierung durch Arbeitgeber und Arbeitnehmer immer umstritten war, finanziell bewußt so niedrig ausgestattet, daß sie - im stationären Bereich ausschließlich nach dem Sachleistungsprinzip und im ambulanten Bereich entsprechend der Wahl zwischen Geld- und Sachleistungen - jeweils nicht die vollen Kosten abdeckt, sondern nur einen Zuschuß gewährleistet. Zweitens will die Versicherung die Unterstützung in der ambulanten Pflege bevorzugen. Drittens wurde ein verrichtungsbezogener Pflegebedürftigkeitsbegriff zugrunde gelegt, der die Leistungsgewährung davon abhängig macht, wie viel Zeit ein Pflegender aufwenden muß, um einen pflegebedürftigen Menschen zu versorgen. Unter einer bestimmten Schwelle gibt es keine Erstattung, und reine "Beaufsichtigung" beziehungsweise "Anleitung", wie sie vor allem in der Betreuung von Menschen mit Demenz notwendig wird, wurde bisher weder als leistungsbegründend noch leistungssteigernd anerkannt9.

Bei der vorletzten größeren Reform des Gesetzes im Jahr 2008 wurde vor allem die Vergütung teilstationärer Leistungen deutlich verbessert; seitdem haben insbesondere Plätze in der Tagespflege sehr an Attraktivität gewonnen. Bei der Reform 2012 sollte vor allem die Lage der Menschen mit Demenz und ihrer Angehörigen verbessert werden - die dazu notwendige Umstellung des Pflegebedürftigkeitsbegriffs, der künftig an notwendigen Unterstützungen zur Teilhabe am Leben orientiert werden soll, konnte jedoch hauptsächlich wegen finanzpolitischer Uneinigkeit nicht erreicht werden. So können Angehörige von dementiellen Menschen bis auf weiteres lediglich wenige Betreuungsstunden im Monat abrufen. Außerdem ermöglicht die neueste Gesetzesreform durch einen Investitionskostenzuschuß sowie einen Zuschuß zu den Kosten einer gemeinsamen Betreuungskraft den Einstieg in die Förderung neuer Wohnformen, etwa Senioren-Wohngemeinschaften.

Neue Betreuungs- und Pflegeformen

Die Gesetzesnovellen reagieren auf Differenzierungen, die in den vergangenen 20 Jahren in der Altenpflege entwickelt wurden. Während damals die Alternative lautete: Entweder Pflege in der eigenen Häuslichkeit, fast ausschließlich durch die eigenen Angehörigen, oder Pflege in der vollstationären Einrichtung, gibt es mittlerweile verschiedene Betreuungs- und Pflegeformen dazwischen sowie auch die ersten Alternativen zur bisherigen Gestalt der vollstationären Einrichtung.

Bereits vor 25 Jahren machte sich das Kuratorium Deutsche Altershilfe für eine am Konzept des "Wohnens" ausgerichtete stationäre Versorgung und Pflege stark. Dieses Konzept hat sich durch die zunehmende Umstellung auch größerer Einrichtungen auf die Organisation von überschaubaren Wohngruppen mit je individuellem Schlafraum, gemeinsamer Eßküche und Wohnzimmer verbreitet. Es läßt sich nicht nur in großen Einrichtungen mit 80 bis 100 Plätzen (die betriebswirtschaftlich immer noch als ideal gelten) verwirklichen, sondern kann auch als eingestreute Einrichtung mit zehn bis zwölf Plätzen in Wohnsiedlungen oder kleinen Ortschaften wohnortnahe Versorgung gewährleisten. Solche Wohnformen stellen mittlerweile auch eine Alternative in der Betreuung stark dementer Menschen dar, die sich ebenfalls in Wohngemeinschaften zusammenfinden. Teilstationäre Einrichtungen ermöglichen tagsüber mittlerweile eine hohe Flexibilität, zumindest montags bis freitags, denn die Inanspruchnahme einzelner Pflegetage stellt für die meisten Anbieter eine Selbstverständlichkeit dar. Tagespflege-Angebote am Wochenende oder Nachtpflege- Plätze dagegen sind noch kaum zu finden.

Die ambulante Pflege wiederum ist in den vergangenen Jahren unter massiven Druck geraten: Einerseits verlangt die enge und ebenfalls eindeutig verrichtungsbezogene Vergütung ein sehr genau geplantes, quasi rationalisiertes Vorgehen der Leistungserbringer. Anderseits reichen diese Pflegeleistungen in vielen Fällen nicht mehr aus, weil die Pflegebedürftigkeit der zu Hause lebenden Menschen gestiegen und die Kapazität der Angehörigen, welche weiterhin die Hauptlast der Versorgung tragen, gesunken ist. Somit stehen häufig die Mitarbeiterinnen ambulanter Dienste vor eigentlich allzu berechtigten Wünschen der Klientinnen, die sie nicht erfüllen können, weil sie im Rahmen ihrer Leistungskataloge nicht abbildbar sind beziehungsweise die Möglichkeiten einer "ambulanten" Pflege deutlich übersteigen. Zu Hause lebende pflegebedürftige alte Menschen benötigen viele hauswirtschaftliche Unterstützungsleistungen und, insbesondere wenn sie alleine leben, Ansprache und Gehör - beides ist im Kontext der ambulanten Pflege nicht mehr zu realisieren.

In ausreichend vermögenden Haushalten treten etwa 100 000 meist osteuropäische sogenannte private Betreuungskräfte in diese Lücke und gewährleisten häufig allein (und ohne arbeitsrechtliche und sozialversicherungsrechtliche Sicherung), manchmal mittlerweile auch in legalen Arbeitsverhältnissen und in Kooperation mit ambulanten Pflegediensten, eine umfassende Betreuung. In der legalen Variante, die etwa einige Caritasverbände in Zusammenarbeit mit Caritas Polen anbieten, werden die Betreuungskräfte tariflich bezahlt, haben den Anspruch auf Ruhezeiten, freie Tage und muttersprachliche Betreuung. Dafür sind dann allerdings inklusive Sozialversicherungsabgaben etwa 2000 Euro aufzuwenden, zuzüglich Unterkunft und Verpflegung10.

Mehr ambulante Unterstützung und das Konzept der Quartiersorientierung

Die Idee der Sozialen Pflegeversicherung, die Angehörigen weiterhin in möglichst hohem Maß an der Pflege und Betreuung zu beteiligen, ist dennoch bisher aufgegangen: Von den circa 2,3 Millionen Pflegebedürftigen (über alle Altersstufen!) wurden im Jahr 2009 70 Prozent zu Hause versorgt und davon wiederum 1,1 Millionen ausschließlich durch Angehörige, also ohne Inanspruchnahme eines Pflegedienstes. Allein für die ambulante Unterstützung der verbleibenden gut 500 000 ambulant zu betreuenden alten Menschen waren gut 250 000 Pflegekräfte (mit unterschiedlichen Beschäftigungsanteilen) tätig, so daß sich abschätzen läßt, wie viele zusätzliche berufliche Pflegekräfte gewonnen werden müssen, wenn künftig die Zahl der häuslich zu betreuenden alten Menschen weiter steigt und die Zahl der pflegenden Angehörigen deutlich abnimmt.

Die weitergehende sozialpolitische Hoffnung der Schöpfer des SGB XI, allein mit bescheidenen finanziellen Anreizen inklusive der Möglichkeit, Beiträge zur eigenen Rentenversicherung gutgeschrieben zu bekommen, in größerer Zahl halbprofessionelle Pflegende aus dem Bekanntenkreis, der Nachbarschaft und dem Quartier zu gewinnen, hat sich bisher nicht erfüllt.

Angesichts der absehbaren Überlastung der familiären Pflegesysteme, die aber voraussichtlich nicht durch professionelle Pflege und Versorgung, ob stationär, teilstationär oder ambulant, aufgefangen werden kann, hat die Landesregierung in Nordrhein-Westfalen beispielsweise einen "Masterplan Quartier" ausgerufen. Dahinter verbirgt sich ein Instrumentenkoffer für die kommunale Altenhilfe-Planung, mit dessen Hilfe alle lokalen Akteure von den Wohnungsbau-Unternehmen über die Gesundheits- und Pflege-Dienstleister bis zu den zivilgesellschaftlichen Gruppen und Vereinen für ein koordiniertes Handeln gewonnen werden sollen, das alt werdenden Menschen ein Verbleiben in der bisherigen Häuslichkeit oder zumindest im angestammten Quartier möglich machen soll. Auf diese Weise, so hoffen die politischen Initiatoren, kann sich ein privat-bürgerschaftlich-gewerblich-wohlfahrtsstaatlicher Unterstützungsmix entwickeln, der den Menschen bis ins hohe Alter und bis zu einem hohen Grad der Unterstützungsbedürftigkeit eine Teilhabe am Gemeinwesen und ein Leben mit partieller Selbständigkeit erleichtert und die volle Pflegebedürftigkeit einschließlich stationärer Unterbringung möglichst weit hinauszögert11.

Diese Form der Quartiersorientierung, die etwa vom Kuratorium Deutsche Altershilfe konzeptionell unterstützt wird, scheint als Leitperspektive durchaus von Bedeutung, kommt sie doch eindeutig den Wünschen der meisten Betroffenen entgegen und bricht zudem starre Alternativen des Lebens im Alter zwischen reiner Privatheit in der Wohnung und absoluter Öffentlichkeit in der stationären Einrichtung auf. Zudem steigen die Realisierungschancen, weil alle Akteure des Gesellschafts- und Wirtschaftslebens allmählich die Lebenslage und die Lebensbedürfnisse der alternden Bevölkerung berücksichtigen müssen, denn sonst gehen ihnen die Kunden, Mieter, Klienten oder Nutzer aus.

Dennoch stellt das Quartierskonzept gegenwärtig noch eher eine Idee als eine realistische Lösungsperspektive dar, weil weder die leistungs- und ordnungsrechtlichen Voraussetzungen mit Nachdruck entsprechend verändert werden noch die Kommunen genügend Unterstützung finden, um umfangreich in den Aufbau solcher quartiersorientierter Strukturen investieren zu können. Es fehlen Formen der Zusammenarbeit, von denen alle alten Menschen im Quartier profitieren und auch die Akteure eine lohnenswerte Perspektive sehen. Abgesehen davon greift es zu kurz, nur die Altersprobleme in der Gesellschaft des langen Lebens im Quartier lösen zu wollen - ein lebenswertes, barrierefreies Viertel, in dem die Bewohner ihr Interesse aneinander (wieder) entdecken, bedarf genau so der Aufmerksamkeit für alle anderen Gruppen und ihre Lebensbedürfnisse und einer langfristigen Entwicklung gemeinsam mit allen Beteiligten12.

Verantwortung, Respekt, Geduld: (Christliche) Werte als Prüfsteine für eine humane Altenpflege

Der überwiegende Teil politischer Lösungsvorschläge orientiert sich weiterhin an der Idee, die Zahl der beruflichen Pflegekräfte zu erhöhen, und regelmäßig erfolgt dabei der Versuch, die professionelle Altenpflege als Perspektive für Gruppen von Arbeitnehmerinnen anzubieten, die Probleme auf dem Arbeitsmarkt haben. Ein solches Konzept muß aus drei Gründen als fragwürdig gelten: Erstens ist die Pflege wie andere sorgende Berufe darauf angewiesen, daß die dort Tätigen die Aufgabe aus eigenem Antrieb übernehmen. Zweitens schadet allein die periodisch wiederkehrende Diskussion, wer alles als letzte Reserve in der Pflege eingesetzt werden könnte, dem Ansehen dieses Berufes und erschwert es, kompetente junge oder auch ältere Menschen für den Einsatz zu gewinnen. Drittens werden so vor allem die hohen Ansprüche verschleiert, die diese Aufgabe stellt: Im weitesten Sinn mag von Pflege als einem Dienstleistungsberuf die Rede sein. Vor allem ist sie aber wie wenige andere Dienste eine Tätigkeit, die in einer Beziehung ausgeübt wird und entsprechend neben Wissen und Können hohe Beziehungsfähigkeit voraussetzt. Dazu gehört Empathiefähigkeit mit Menschen, die sich vielfach aus physischen oder psychischen Gründen nicht mehr artikulieren können und doch noch Bedürfnisse nach Respekt, nach Sorge, nach behutsamer Begleitung haben.

Pflegende gestalten Beziehungen mit Menschen, für die sie in vielen Fällen die einzigen oder zumindest die wichtigsten Gesprächspartner sind. Sie vermitteln in der Begegnung mit diesen pflegebedürftigen alten Menschen, daß diese nicht nur eine unverlierbare Würde haben, sondern dies auch selbst erfahren und es deshalb wert sind, daß man sich nach bestem Wissen und Gewissen um sie sorgt. Einfühlsame Beobachtung des Erlebens und Verhaltens von Menschen mit dementiellen Veränderungen etwa setzt die Fähigkeit voraus, sich auf diese alten Frauen und Männer einzulassen, sich in ihre Welt hineinzuversetzen und dabei nicht zu resignieren13.

Pflegende brauchen deshalb eine (selbstreflexive) Vergewisserung über den sozio-kulturellen Kontext und die daraus folgenden Bedingungen für ihr pflegerisches Handeln, für die biographischen Bedingtheiten ihres eigenen Erlebens und Verhaltens sowie das ihrer Patienten und Kooperationspartner. Kurz: Sie müssen etwas vom Leben verstehen. Pflegende benötigen ferner einen emotionalen Zugang zu den Menschen, mit denen sie arbeiten. Sie brauchen eine grundlegende Bereitschaft, sich auf Menschen einzulassen und deren Form, das Leben zu meistern, zu erkennen und anzuerkennen, aber auch genügend Wachheit und Bewußtheit, um zu spüren (und einordnen zu können), was die Begegnungen mit den Patientinnen und Patienten in ihnen auslösen. Kurzum, sie müssen etwas vom Lieben verstehen14. Angelehnt an pastoralanthropologische Überlegungen von Walter Fürst15 und Hermann M. Stenger CSsR16ist diese Trias durch eine letztlich christlich begründete Grundhaltung zu vervollständigen: Eine von so hoher Intimität und Intensität geprägte kommunikative Tätigkeit wie Pflege kommt ohne einen Transzendenz-Bezug nicht aus, was ebenfalls wenigstens anfanghaft aufgeklärt und bewußt gestaltet werden sollte. Pflegende sollen darum auch etwas vom Glauben verstehen.

Pflege nach den Prinzipien der Personalität, Subsidiarität und Solidarität

Ein solches Verständnis der pflegerischen Aufgabe als Konkretion menschlicher sorgender Beziehungen bedarf der Absicherung im Zusammenspiel von persönlicher, familiärer und gesellschaftlicher Verantwortung. Es basiert auf der Zuerkennung von Personalität des Menschen in jeder Lebensphase und -lage und sollte sich daher etwa an den Maßstäben der christlichen Soziallehre messen lassen. Aus der Anerkennung der Personalität von Pflegebedürftigen und Pflegenden folgt notwendig ein Pflegebedürftigkeitsbegriff, der die Gegebenheiten der Pflegebeziehung abzubilden vermag. Dieser Pflegebedürftigkeitsbegriff ist darum nicht in erster Linie an den Defiziten zu orientieren, sondern an den notwendigen Unterstützungen, um ein Leben zu führen, das die begrenzten körperlichen und geistigseelischen Bedingungen anerkennt und Möglichkeiten schafft, aus diesen Gegebenheiten das Beste zu machen.

Die Anerkennung der Subsidiarität nimmt zunächst die einzelnen Menschen in die Pflicht, tatsächlich selbst vorzusorgen. Das Risiko, im Alter für längere Zeit auf hohe Unterstützung angewiesen zu sein, ist mittlerweile genügend bekannt, niemand wird mehr von Pflegebedürftigkeit überrascht. Politisch wird allerdings ausschließlich die finanzielle Vorsorge diskutiert, und die aktuell vorgesehenen Modelle der privaten Ergänzung zur gesetzlichen Pflegeversicherung schaffen zudem Vorsorge-Anreize nur für Menschen mit Einkommen deutlich oberhalb des Existenzminimums. Die öffentliche Förderung dieser Vorsorge subventioniert wiederum den Erhalt des Vermögens im Alter. Anreize zur Eigenvorsorge für die anderen Bevölkerungsgruppen bleiben aus. Sie müßten sich über die Frage der materiellen Absicherung in Eigenverantwortung hinaus auf präventive Bemühungen zur Erhaltung von Gesundheit und sozialer Integration richten17.

Die Pflegeversicherung folgt seit ihrer Gründung dem Grundsatz "Ambulant vor stationär" und scheint damit dem Subsidiaritätsprinzip zu entsprechen. Allerdings erscheinen die materiellen und vor allem die strukturellen Förderungen zur Stärkung der pflegenden Angehörigen nicht ausreichend. Die unmittelbaren pflegeentlastenden Maßnahmen wie auch die präventiven Angebote für pflegende Angehörige greifen zu kurz; die Anreize für Menschen aus dem weiteren sozialen Umfeld wirken nicht hinreichend, und vor allem fehlt es für Kommunen, Vereine, Wohlfahrtsverbände vor Ort an Möglichkeiten, das jeweilige Solidaritätspotential zu erkunden, zu stiften und zu fördern. Hier bedarf es einer breit angelegten Initiative der Gemeinwesenarbeit, die mittelbar der Pflege zugute kommt.

Letztlich wird die Aufgabe, pflegebedürftigen alten Menschen in unserer Kultur eine menschenwürdige letzte Lebensphase zu ermöglichen, nur in einer neuen Form gesamtgesellschaftlicher Solidarität zu bewältigen sein. Diese Solidarität zu fördern, und zwar intra- wie intergenerationell, ist ebenso notwendig wie die Lösung der sozialversicherungsrechtlichen und organisatorischen Fragen: Dazu gehört, daß Pflegebedürftigkeit als ein selbstverständlicher Teil des Lebens akzeptiert wird und Zeiten der Pflegetätigkeit in allen Lebensläufen fraglos vorkommen. Wo Jugendliche in der Schule pflegen lernen und als Schüler oder Studierende ihren Teil an Pflegetätigkeit übernehmen, wo Berufstätige zeitweilige Freistellungen einsetzen und Freiwillige in allen Lebensphasen einen Abschnitt ihres Lebens für Pflege zur Verfügung stellen, verliert Pflegebedürftigkeit ihr Stigma und führt Pflegetätigkeit nicht zum gesellschaftlichen Ausschluß. Eine solche Vision konkurriert als humanere und vielleicht sogar realistischere Alternative mit den eingangs genannten Überlegungen, Pflege kurzerhand auszugliedern18.

Der Beitrag der christlichen Diakonie

Die katholischen Kirchengemeinden beziehungsweise die ihr in der Trägerschaft von katholischen Vereinen, Stiftungen oder sonstigen gemeinnützigen Körperschaften über die Caritas als Spitzenverband angeschlossenen Einrichtungen leisten einen großen Teil der professionalisierten Altenhilfe. Sie betreiben stationäre Einrichtungen, die im vorvergangenen Jahrhundert in Pfarrgemeinden oder von Ordenseinrichtungen gegründet wurden, und Pflegestationen in Fortsetzung der Tradition der Gemeindeschwestern. In beiden Bereichen waren die Stifterinnen und Stifter häufig Pioniere in der Versorgung alter Menschen aus christlicher Verantwortung und haben das Altenhilfe-Wesen in hohem Maße geprägt.

Heute sind ihre Nachfahren Akteure in einem Sozialmarkt und müssen sich in einem zugleich durch leistungsrechtliche Deregulierung und ordnungsrechtliche Hochregulierung politisch induzierten harten wirtschaftlichen Wettbewerb bewähren. So stehen die Träger in einem Dilemma: Hinsichtlich der pflegefachlichen und hauswirtschaftlichen Qualität müssen sie vergleichbare Leistungen bringen wie alle anderen; für mögliche eigene Akzente in der Bereicherung der Lebensqualität der pflegebedürftigen Menschen, ob in der eigenen Häuslichkeit oder in der stationären Einrichtung, fehlen die wirtschaftlichen und die personellen Möglichkeiten. Von der Pastoral fühlen sie sich zunehmend im Stich gelassen, seit der Rückgang an seelsorglichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern immer seltener die Präsenz der Seelsorge in den Einrichtungen zuläßt. Die Möglichkeiten einer Kooperation von ambulanter Pflege und Seelsorge sind schon seit der Professionalisierung der Sozialstationen kaum mehr genutzt worden.

Die spitzenverbandliche Begleitung durch die diözesanen Caritasverbände spiegelt die Dilemmata der gemeinnützig organisierten Altenhilfe zwischen einer Sicherung des Bestehenden trotz kritischer Einschätzung der Tauglichkeit der aktuellen Konzepte einerseits und der Entwicklung von grundsätzlichen Alternativen anderseits wider: So gilt es zunächst, wenigstens die aktuellen politischen und leistungsrechtlichen Rahmenbedingungen zu stabilisieren, damit die Träger in ihren Einrichtungen beziehungsweise ambulanten Diensten genügend Plätze mit vernünftiger Qualität zur Verfügung stellen und angemessene tarifliche Löhne bezahlen können. Das ist bei dem bestehenden Kostendruck nicht einfach, zumal im stationären Bereich immer wieder hohe Kapitalbeträge in Neubauten und Sanierungen respektive Renovierungen investiert werden müssen. Dabei bleiben kaum ausreichende finanzielle, aber auch konzeptionelle Spielräume zur rechtzeitigen Entwicklung von Alternativen zu den bestehenden Systemen übrig. Immerhin ist es in den vergangenen Jahren gelungen, zumindest im Bereich der Tagespflege viele neue Plätze zur Verfügung zu stellen, die vielen Pflegenden und ihren Angehörigen sehr zugute kommen.

Darüber hinaus unterstützen die Spitzenverbände neue Initiativen, ermutigen die Träger zur Entwicklung und Realisierung innovativer Konzepte und machen sich insbesondere in ihrer Politikberatung für die Förderung von Alternativen zu den herkömmlichen Modellen stark. So sind manche Träger schon weit vorangekommen etwa in der Entwicklung kleiner, auch in bestehende Wohnanlangen eingestreuter Wohngemeinschaften für Menschen mit körperlicher Pflegebedürftigkeit wie auch mit Betreuungsbedürftigkeit aufgrund ihrer Demenz. Stationäre Einrichtungen stellen sich nicht nur mit spezialisierten Konzepten auf die Lebensgestaltung für immer mehr demente Bewohnerinnen und Bewohner ein, sondern entwickeln auch Modelle der palliativen und hospizlichen Versorgung sterbenskranker alter Menschen in ganz normalen Einrichtungen. Das erfordert einen Mentalitätswandel bei den Mitarbeiterinnen, die Sterben bewußt zulassen und etwa die Angehörigen im Loslassen unterstützen, die in veränderter Weise mit Hausärzten in der Schmerzversorgung kooperieren und ihre Türen für ambulante Hospizdienste öffnen.

Bleiben die Kirchengemeinden. In der volkskirchlichen Periode, insbesondere in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts boten sie die bedeutendsten Netzwerke für alte Menschen, die in vielen Gemeinden eine verläßliche soziale und geistliche Heimat gefunden hatten. Besuchsdienste, Seniorenclubs, Gottesdienste und die genannten Caritas-Pflegestationen boten in vielen Fällen eine Unterstützung, in der alte Gemeindemitglieder wahrgenommen wurden und sich eingebunden fühlten. Allerdings haben die Kirchengemeinden diese Stärke selten aktiv weiter entwickelt und wertgeschätzt.

In der Gegenwart leiden gerade die alten Gemeindemitglieder in besonderer Weise unter den Zusammenlegungen von Pfarrgemeinden, unter der Reduzierung der kirchlichen Infrastruktur, und daß Gemeinden in der beschriebenen Quartiersentwicklung eine führende Rolle spielen könnten, wird angesichts der vordringlichen Beschäftigung mit internen Restrukturierungsaufgaben nur selten vorkommen. Doch soll diese Möglichkeit nicht völlig abgeschrieben werden: Die großen Ordensgründungen im 18. und 19. Jahrhundert, die zivilgesellschaftlichen Initiativen und Verbände des 20. Jahrhunderts, die kleinen Vereine, die sich zum Caritasverband zusammenschlossen - alle diese Initiativen entstanden und entfalteten große Wirkung, weil sie sich aktuellen sozialen Herausforderungen aus dem Geist des christlichen Glaubens stellten, weil sie den Glauben existentiell an den gesellschaftlichen Aufgaben entlang buchstabierten.

Damit Leben bis zum Ende gelingen kann

Mit der Gesellschaft des langen Lebens steht wieder eine solche gesellschaftliche und soziale Herausforderung an, eine Herausforderung, die sich gut dafür eignet, das Evangelium mit seiner Botschaft von dem Gott, der an der Entwicklung der Menschen in jeder Lebensphase Interesse hat, in die Tat umzusetzen. Es wird sicher nicht zu einer neuen flächendeckenden Initiative allein aus kirchlichen Quellen kommen, denn zur spätmodernen Gesellschaft gehört immer eine große Pluralität von Lösungsideen. Aber es wäre an der Zeit, daß gemeindlich und verbandlich engagierte Bürger und Fachleute gemeinsam zeigen, was möglich und nötig ist, damit das Leben bis zum Ende gelingen kann.

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