Kommende Generation„Sieben Nächte“ von Simon Strauß

Kommende Generation „Sieben Nächte“ von Simon Strauß Von Angst getrieben – so stellt sich der junge Protagonist in „Sieben Nächte“ von Simon Strauß der Leserin und dem Leser vor1. Ob es sich nun tatsächlich um den Autor selbst handelt, ob eine Auseinandersetzung mit dem Vater Botho Strauß stattfindet oder wie und wo die beschriebenen sieben Nächte tatsächlich stattgefunden haben, sind Fragen, die nicht weit führen. Das sich Auszeichnende der monologartigen Niederschrift liegt neben der Sprache im Thema, das über eine individuelle Erfahrung hinausreicht. Florian Illies meint gar, dass sie zum „Buch der nächsten Generation werden kann“2, ein solches ist diesem selbst im Jahr 2000 mit „Generation Golf“ gelungen.

Der Tenor bei Strauß ist jedoch ein gänzlich anderer. Hier ist keine Sorglosigkeit vorhanden, der fast Dreißigjährige hat Angst: Angst davor, wie alle zu werden und in vorgegeben Bahnen zu verschwinden.

Die Situation ist paradox. Es mangelt nicht an Geld, eine berufliche und private Karriere zeichnen sich ab, die vielen Verweise und Zitate illustrieren die gute Bildung und doch stellt sich eine Perspektivlosigkeit ein. Es ist nicht mehr die Suche nach Sicherheit, die bewegt, sondern die nach Entgrenzung: „Ich will wieder den Wunsch nach Wirklichkeit spüren, nicht nur den nach Verwirklichung.“ (17) Wo ist eine Authentizität, eine Dimension, für die es sich zu leben lohnt? Schwer wiegt, dass das privilegierte Leben nicht erkämpft werden muss und die Vorbilder abschreckend sind. Dies geht mit der Geringschätzung der eigenen Person einher, und so ist das skizzierte Feindbild denkbar nah, nur einen Schritt voran: Der erfolgreiche junge Familienvater, der „Superdaddy“, welcher in seinem „arglosen Wohlstand“ (71) lebt.

Der Angst vor einer schleichenden Verbürgerlichung tritt jedoch nicht ein geschlossener Entwurf entgegen, sondern in einer Mischung aus Feststellungen und Thesen wird etwa eine neue Gemeinschaft eingefordert, dass es an der Zeit ist, den Zynismus zu beenden, dass das Gefühl den Vorrang vor der Vernunft haben muss und dass es darum geht, ganz für eine Sache einzutreten – wahrhaftig zu sein.

Die Ausführungen widersprechen sich teilweise, sind zirkulär oder unklar, aber bilden gerade so eine Suchbewegung ab, die ausweglos scheint. Obwohl der „Sympathiesüchtige“ (12) immer so lebt, als ob er jemandem gerecht werden müsse, gibt es kein Gegenüber, keine entscheidende Beziehung. Niemand formuliert Erwartungen, und doch gibt es ein Gefühl des Vorherbestimmten, gegen das es sich aufzulehnen gilt. Warum bleibt es jedoch nur bei Forderungen? Es fehlt an Orientierung und Hilfe, nicht nur an Menschen, sondern auch an Tradition. Die Zitate und Verweise wirken mehr illustrativ denn impulsgebend. Hinzu kommt ein ambivalentes Selbstbild, weshalb die eigene Person zu einem wichtigen Grund für die Unmöglichkeit jedes Wandels wird: „Ich bin einer, der selbst in der ätzendsten Selbstkritik selbstgefällig bleibt, selbstverliebt, selbstgenügsam. Ich gefalle mir sehr in der Rolle des Gegeißelten, der mit sich abrechnet, ohne sich je wirklich zu befragen, vor allem: wirklich etwas zu verändern.“ (49)

Mit großem Pathos wird beschworen, reflektiert und beklagt, ohne dass es zu einer entscheidenden Handlung kommt. Manchmal wütend und dann wieder lakonisch, wird die eigene Unfähigkeit beschrieben, die um das „dumpfe, wehleidige Gefühl, zu spät geboren zu sein“ (91) kreist. Es ist keine Verzweiflung, die hier aufkommt, sondern eine ernüchternde Feststellung: „Wir können uns gar nicht mehr vorstellen, dass man einmal geglaubt hat, wirklich von Grund auf überzeugt davon war, alles ganz anders machen zu wollen und zu können.“ (92)

Ist kein Ausbruch, keine Veränderung mehr möglich? Der junge Mann schließt mit einem flüchtig Bekannten einen Pakt, der im Begehen der sieben Todsünden, in jeweils einer Nacht, besteht. Bereits der Plan wirkt konstruiert, und es zeigt sich, dass sich echte Ergriffenheit und Erschütterung nicht einfach erzeugen lassen. Das Ausprobieren und das bewusste an oder über die Grenze Hinausgehen bleibt ironisch gebrochen.

Der Plot wie die Kapitel, die durch die lateinischen Namen der Sünden betitelt sind, treten in den Hintergrund angesichts der Variationen um das Grundthema eines von sich selbst Enttäuschten. Ist das nicht ein wenig originelles Lamentieren auf hohem Niveau? Ein Unwohlsein, das mit Angst verwechselt wird? Die Suchbewegung wie die anklingenden Themen und die Beleuchtung der eigenen Person verleihen „Sieben Nächte“ eine Tiefe.

Auch wenn der Protagonist zu einer Elite gehört, kann er exemplarisch für ein Gefühl stehen, das unabhängig vom sozialen Status ist: Bedeutungslosigkeit. Die Aussichtslosigkeit entsteht aus einem Gefühl der Nichtveränderbarkeit der Welt, der Gesellschaft und des eigenen Ichs. Wofür und woraus soll so eine Revolution entstehen? Die Sünden bringen letztlich nicht die erhoffte Veränderung, denn auch diese erfolgen halbherzig und spiegeln nur das Negativbild eines, der „nur zum Schein betet, ohne wirklich zu glauben.“ (49)

Ob das Buch in dieser Tendenz ein Porträt der kommenden Generation abgibt – ungewöhnlich genug: es erreichte innerhalb weniger Wochen mehrere Auflagen – kann offenbleiben. Es steht jedoch sicher für eine Sehnsucht, die unter aller Absicherung immer wieder ungestüm und undeutlich hervorbricht und zeigt, „dass es auch anders sein könnte. Dass doch eine Aussicht auf Glück bestünde, ein Moment der Stärke und Entschiedenheit möglich wäre.“ (50) Es sind existenzielle Themen, die nach einer Entscheidung und Verantwortung verlangen. Die Religion hat hier eine neue Präsenz, wenn sie auch nur noch rudimentär als eine Möglichkeit zur Lösung aufscheint. Bezeichnenderweise sind es die Todsünden, also jene Kategorien, die klassisch als Anzeichen eines falschen Weges gedeutet werden, die der Protagonist wählt. Es wäre nicht nur ihm zu wünschen, dass er ebenso die anderen Dimensionen des Glaubens entdeckt.

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