Aschenbild und LebensbaumDer Wandel der Bestattungskultur als Herausforderung für Theologie und Seelsorge

Erdbestattung in einem Sarg, Urnen in einem Kolumbarium oder ein Bild, das mit der Asche einer verstorbenen Person gemalt wurde: Bestattungswünsche sind vielfältig geworden. August Laumer, Professor für Pastoraltheologie an der Universität Augsburg, geht den Gründen dieser Entwicklung nach und zeigt Kriterien und Optionen für den Umgang mit den neuen Formen auf.

Ein Bild, gemalt mit einem Teil der Asche einer Verstorbenen – diese Meldung erregte vor wenigen Jahren in den Medien Aufsehen. Die Künstlerin Ina Pause-Noack aus dem hessischen Hanau will solche Kunstwerke als „neue Form der Bestattungskultur“ 1 etablieren, wie es im Magazin „Der Spiegel“ hieß. Seit Jahren arbeitete die Künstlerin bereits mit Kohle- oder Holzasche, aber auch mit Tierasche. Ein Witwer erfuhr 2012 davon und bat sie, mit einem Teil der Asche seiner verstorbenen Ehefrau ein Bild zu malen. Auch andere Künstler und Bestatter bieten inzwischen diese Möglichkeit an.
Eine weitere neue, ungewohnte Bestattungsform stellt die Baumbestattung dar, die etwa das Unternehmen „Tree of life“ ermöglicht. Dabei wird die Asche Verstorbener mit Substraterde vermischt und ein Baum darin eingepflanzt. Allerdings ist dazu ein Umweg über das Ausland notwendig, da in Deutschland noch ein weithin rigides Bestattungsrecht herrscht. Nach der Einwurzelung kann der Baum abgeholt und zuhause im Garten oder an anderer Stelle eingepflanzt werden. Mit dieser Bestattungsform wird nicht nur der mögliche Wunsch Verstorbener oder ihrer Hinterbliebenen aufgenommen, dass die Asche an einem Lieblingsort ruhen soll; „Tree of life“ sei auch – so die Homepage des Unternehmens – „Sinnbild für das Fortbestehen des Lebens“, weil „die Asche eines Verstorbenen durch die Wurzeln eines Baumes aufgenommen wird und somit in ihm ‚weiterlebt‘“2. Auffällig ist dabei, dass hier der Begriff „weiterlebt“ in Anführungszeichen gesetzt wird; offenbar wollen sich die Verantwortlichen hinter „Tree of life“ dann doch gegen eine zu wörtliche Verstehensweise ihrer Aussagen absichern.
Ein aus der Asche Verstorbener gemaltes Bild und der „Lebensbaum“ sind gewiss zwei recht außergewöhnliche Beispiele für neue Formen der Bestattung, wie sie in den letzten Jahren aufgekommen sind. Doch können sie stellvertretend für den gravierenden Umbruch stehen, den die Bestattungskultur in den letzten Jahrzehnten in unseren Breiten erfahren hat – als Folge gesamtgesellschaftlicher Veränderungen. Zugleich wirft dieser Wandel der Bestattungskultur Fragen für Theologie und Seelsorge auf.

Der Wandel der Bestattungskultur – und dessen Gründe

Vor allem ein Befund drängt sich angesichts der Veränderungen in der gegenwärtigen Bestattungskultur auf: die Pluralisierung der Trauer- und Bestattungsformen. Während in früherer Zeit die verfasste Religion und gesellschaftliche Konventionen zu einem relativ einheitlichen Bild der Bestattungskultur führten, ist seit etwa den 1990er-Jahren eine Ausdifferenzierung der Bestattungsarten festzustellen. Neue, alternative Bestattungsformen sind aufgekommen und haben das traditionelle, bis dahin allgemein übliche Sargbegräbnis im Friedhof zurückgedrängt. Welche Gründe lassen sich dafür ausmachen?
Das Stichwort Pluralisierung deutet bereits darauf hin, dass sich auch der Bereich von Trauer und Bestattung nicht von den gesamtgesellschaftlichen Entwicklungen der Spätmoderne abkoppeln kann. Pluralisierung meint dabei, dass in der Gegenwart dem Individuum eine Vielzahl und große Unterschiedlichkeit von Weltanschauungen, Meinungen, Lebensentwürfen, religiösen Bekenntnissen und politischen Überzeugungen begegnet, ermöglicht durch die modernen Kommunikationsmittel, die Globalisierung und die gestiegene Mobilität. Anders als noch in der Vormoderne ist es nun aber auch der freien Entscheidung des Einzelnen überlassen, diese unterschiedlichen Meinungen kennenzulernen, zu erleben und sich ihnen anzuschließen, ohne näherhin mit Repressionen seitens des Staates oder der Gesellschaft rechnen zu müssen.
Mit dem Phänomen der Pluralisierung eng verbunden ist darum auch das, was soziologisch als „Individualisierung“ bezeichnet wird. Auch hier geht es um größere Freiheitsräume für den Einzelnen. Nach Ulrich Beck bestimmt in der Moderne (bzw. Spätmoderne) nicht mehr so sehr das gesellschaftliche Kollektiv die Biografie des Einzelnen, sondern das Individuum wird nun zum zentralen Bezugspunkt und Faktor der Vergesellschaftung – ein erheblicher Freiheitsgewinn für den Einzelnen. Aus einer durch soziale Konventionen geprägten „Normalbiografie“ wird nun eine „Wahlbiografie“3, wie Ulrich Beck und Elisabeth Beck-Gernsheim einst formuliert haben. Bisherige Traditionen verlieren in diesem Prozess an normativer Bindekraft und werden immer weniger geübt, so dass ihre Weitergabe abbricht. Das Individuum steht zugleich vor einem Zwang zur Wahl; denn der Einzelne muss nun für sich entscheiden, welche Option er wählt – und er muss schließlich auch selber die Verantwortung für die Konsequenzen seiner Entscheidung tragen.
Für den Bereich der Bestattungskultur zeigt sich der Wegfall gesellschaftlicher Konventionen im bundesdeutschen Gebiet insbesondere durch die Erosion des – wenn man das so bezeichnen will – „Bestattungsmonopols“ der Kirchen seit den 1990er-Jahren. Während es in früherer Zeit als schwerer, ja unverzeihlicher Makel galt, kein kirchliches Begräbnis zu erhalten, haben sich in der Gegenwart Alternativen eröffnet, die inzwischen weithin gesellschaftlich akzeptiert und etabliert sind: Nichtkirchliche Trauerredner bieten hier ihre Dienste an, ebenso wie sogenannte „Freie Theologen“ und schließlich auch die Bestattungsunternehmen selbst. Die Kirchen sind somit nur mehr ein Anbieter unter mehreren, aus denen auf dem „Markt der Bestattung“ ausgewählt werden kann.
Der Rückgang des kirchlichen Einflusses hatte zudem Auswirkung auf die Bestattungsformen. Noch heute favorisieren die beiden großen Kirchen das Erdbegräbnis. Bis 1963 war für katholische Christen die Feuerbestattung ausdrücklich verboten und in diesem Fall eine kirchliche Begräbnisfeier untersagt, weil man hinter dem Wunsch zur Kremation grundsätzlich glaubensfeindliche Motive vermutete – vor allem eine Absage an den Glauben an die Auferstehung des ganzen Menschen mit Seele und Leib. Sofern solche Gründe nicht vorliegen, ist seither die Kremation auch Katholiken erlaubt4, wenngleich Canon 1176 § 3 des CIC/1983 weiterhin und mit Nachdruck die Beerdigung des Leichnams empfiehlt5.
In der DDR wurde staatlicherseits die Feuerbestattung als gesamtgesellschaftliches Anliegen propagiert und gefördert, nicht zuletzt als bewusste Absage an das Christentum. 1989 lag hier der Anteil der Kremationen an den Bestattungen landesweit bei rund 67 Prozent – eine Zahl, die inzwischen noch weiter angestiegen ist6. Aber auch in den alten Bundesländern sind die Anteile der Feuerbestattungen an den Bestattungen insgesamt mittlerweile massiv angewachsen: Für das Jahr 2014 gibt der Bundesverband Deutscher Bestatter einen Anteil von 54,5 Prozent deutschlandweit an7. Die Zunahme der Kremationen indes ist erst die materiale Basis für die genannte Vervielfältigung der Bestattungsformen.
Auch demografische und familiensoziologische Entwicklungen haben Einfluss auf die Wahl der Bestattungsart. In der Gegenwart dominiert die Kleinfamilie. Berufliche, aber auch private Mobilitätserwartungen führen dazu, dass jüngere Generationen oftmals nicht mehr am Ort der Eltern und Großeltern wohnen. Die Plausibilität eines Familiengrabes am Herkunftsort schwindet daher zusehends. Hinzu kommt die Sorge um die Grabpflege, die aus großer Entfernung kaum mehr zu bewältigen ist. Wohnort und Bestattungsort treten darum immer häufiger auseinander. Die Wahl der Bestattungsart wird nun verständlicherweise einer ganz pragmatischen Abwägung unterworfen.
Schließlich ist auch die Ökonomisierung des Bestattungsbereiches zu nennen, auf die etwa Dominic Akyel hingewiesen hat8. Während bis in die 1980er-Jahre die Umsätze bei den Bestattern auch aufgrund der Vorherrschaft der traditionellen christlichen Bestattung lange Zeit stabil waren und es weithin ein Tabu für die Hinterbliebenen war, bei der Beisetzung sparen zu wollen, hat sich das inzwischen grundlegend gewandelt: Es zeigt sich nicht nur ein größeres Kostenbewusstsein der Kunden, nicht zuletzt aufgrund des Wegfalls des Sterbegeldes in den gesetzlichen Krankenkassen seit dem Jahr 2004. Auch die Anzahl der Bestattungsinstitute stieg deutschlandweit – bei demografisch bedingt zugleich stagnierenden oder sogar zeitweise zurückgehenden Sterbezahlen –, sodass die Umsätze pro Bestattungsunternehmen deutlich sanken. So betrug etwa 1994 der durchschnittliche Jahresumsatz eines Bestattungsunternehmens rund 380 000 Euro, im Jahr 2006 hingegen nur mehr rund 280 000 Euro9. Die Bestattungsunternehmen reagierten auf diese Situation mit einer zunehmenden Dienstleistungsorientierung und einem Ausbau ihrer Angebote – etwa gerade im Blick auf die Bestattungsformen, die ermöglicht werden. Hinzu kamen weitere kommerziell ausgerichtete Initiativen, die alternative Bestattungsarten als unternehmerische Idee entwickelt haben, etwa die Beisetzung einer Urne in einem naturbelassenen Waldstück oder das schon genannte Unternehmen „Tree of life“.
All diese Gründe und Faktoren trugen zu einer Pluralisierung der Bestattungskultur bei. Doch mit welchen konkreten Tendenzen bei den Bestattungsformen haben wir es in der Gegenwart eigentlich zu tun?

Die Ausdifferenzierung der Bestattungsformen

Der protestantische praktische Theologe Thomas Klie hat hier eine Unterscheidung vorgelegt, für die einiges zu sprechen scheint, zumal Klie nicht von starren Trennlinien ausgeht, sondern mit Überschneidungen und Motivbündeln rechnet. Er macht drei Stil-Präferenzen aus, die man wohl auch als Motivationslagen bezeichnen könnte: einen naturreligiös-ökologischen, einen ästhetisch-performativen und einen anonymisierend-altruistischen Code10.
Dem naturreligiös-ökologischen Code ordnet Klie etwa die Bestattung einer Urne in einem naturbelassenen Waldstück zu, ein Beisetzungskonzept, das unter verschiedenen Namen begegnet – etwa als „Friedwald“, „Ruheforst“, „Ruhehain“, „Urnenwald“ oder Ähnlichem. Diese Bestattungsform ist in Deutschland seit 2001 aufgrund einer Lockerung des rigiden Friedhofszwangs möglich – anders als etwa das Verstreuen der Asche auf einer Almwiese; durch den Umweg über das bestattungsrechtlich liberalere Ausland wird aber auch das ermöglicht, genauso wie das „Tree-of-life“-Konzept, wie oben bereits dargelegt.
All diesen neuen Bestattungsformen gemeinsam ist der Gedanke, dass die Asche eines Verstorbenen als Nährstoff für die Natur dient. Die Überlegungen von Klie sind sicherlich in der Hinsicht zu ergänzen, dass hier nicht unbedingt naturreligiöspantheistisches Denken dahinterstehen muss – im Sinne eines Weiterlebens in der Natur. Solche naturreligiös verbrämten Reinkarnationsvorstellungen wären mit den christlichen Glaubensüberzeugungen nicht vereinbar, eine kirchliche Begräbnisfeier darum nicht möglich, wie etwa die Deutsche Bischofskonferenz (DBK) wiederholt festgehalten hat11. Doch müssen solche Vorstellungen bei diesen Bestattungsformen nicht in jedem Fall vorliegen. Es kann auch schlicht Naturverbundenheit sein, die manche diese Art der Beisetzung wählen lässt – der Wunsch, an einem schönen Ort der Natur seine letzte Ruhestätte zu finden. Hinzu kommen ganz pragmatische Motive, etwa der Entfall der Grabpflege. Weil auch Klie offenbar durchaus die Naturverbundenheit als einigendes Kriterium dieser Stilpräferenz ansieht, subsumiert er als weitere Bestattungsformen unter dieser Motivationslage dann auch die See- und die Streubestattung der Asche auf einer Wiese innerhalb des Friedhofgeländes, wie dies gegenwärtig schon in Rostock, Berlin, Brandenburg, Thüringen und Nordrhein- Westfalen möglich ist, sowie die in Deutschland (noch) verbotene sogenannte Luftbestattung – ein Ausstreuen der Asche von einem Heißluftballon, Flugzeug oder Helikopter aus; erlaubt ist dies etwa in der Schweiz, in Frankreich und Spanien12.
Der ästhetisch-performative Code sodann setzt, so Klie, vor allem auf „Inszenierungsqualitäten“. Hier wird der Tod gerade nicht als das natürliche Ende menschlichen Handelns gesehen, sondern vielmehr als ultimativer Anlass, die Einzigartigkeit eines Menschen sinnenhaft-ästhetisch zur Darstellung zu bringen. Auch über die „letzten Dinge“ will damit der Einzelne noch volle Autonomie besitzen und selbstbestimmt entscheiden; er will auch hierin seine Individualität ausdrücken können. Beispiele dafür sind nach Klie die sogenannte „Diamantbestattung“, bei der aus einem Teil der Asche eines Verstorbenen ein künstlicher Diamant gefertigt wird, daneben aber auch die Plastination von Leichen, wie sie Gunter von Hagens durchführt, oder die (noch) hochexklusive Weltraumbestattung, bei der ein geringer Teil der Asche mit einer Trägerrakete ins All geschossen wird. Auch die Friedhofsgestaltung nimmt gegenwärtig immer stärker inszenatorisch-performative Stilwünsche auf, etwa wenn Bereiche des Friedhofs und Gemeinschaftsgrabanlagen künstlerisch bzw. thematisch gestaltet werden13. Prominentes Beispiel hierfür ist etwa der Bereich des Friedhofs Altona, der 2008 als HSV-Fanfriedhof angelegt wurde – mit Blick auf das Stadion, aber auch selbst in Form eines Fußballstadions, mit Tribünen und echtem Stadionrasen sowie einem Zugangstor in den Maßen eines Fußballtores, so die entsprechende Homepage des HSV14.
Einen krassen Gegensatz zur ästhetisch-performativen Option bildet die dritte Stilpräferenz, der anonymisierend-altruistische Code. Denn darunter versteht Klie schlichte und kostengünstige Formen der Bestattung, die gerade deshalb gewählt werden, um niemand zur Last zu fallen, insbesondere nicht den Familienangehörigen, die gegebenenfalls weit entfernt wohnen. Auch das gesteigerte Diskretionsbedürfnis der Menschen, der Rückzug ins Private („Cocooning“), steht oftmals als Motiv hinter dieser Stilpräferenz, wie auch das Motiv des Sparens, nicht selten aufgrund von finanzieller Bedürftigkeit. Unter diesen Typ fasst Klie folgerichtig die anonyme Bestattung, aber ebenso nochmals die Seebestattung und auch die Körperspende an die anatomischen Institute der Universitäten15. Bei den Motivlagen übersieht Klie aber wohl, dass diese Bestattungsformen nicht allein aus „altruistischem“ Antrieb gewählt werden, sondern zuweilen auch aufgrund von Verärgerung über die Verwandten und das Lebensumfeld des bzw. der Verstorbenen. Gerade die anonyme Bestattung – die Beisetzung der Urne auf einer Rasenfläche ohne Bekanntgabe des Zeitpunktes und des genauen Beisetzungsortes sowie ohne Teilnahme der Angehörigen – ist dann eine Form, um sich den Hinterbliebenen nochmals zu entziehen und nicht von ihnen vereinnahmt werden zu können. Damit liegt hier also sicherlich gerade das Gegenteil eines altruistischen Motivs vor.
Nicht recht eingeordnet werden kann in das Schema von Klie zudem eine weitere neue Bestattungsform: die Beisetzung einer Urne in einem kirchlichen Kolumbarium – sei es, dass eine Kirche, die nicht mehr benötigt wird, zum Kolumbarium umgebaut wird, oder dass nur ein Teil der Kirche, etwa eine Krypta, dazu verwendet wird. Am ehesten lassen sich hier noch Verbindungen zum ästhetisch-performativen Code ausmachen; doch ganz geht diese Bestattungsform in der Kategorie der Inszenierung des eigenen Todes nicht auf. Damit durchbricht das kirchliche Kolumbarium in gewisser Weise die spätmodernen Idealtypen der Bestattungskultur und setzt eine eigene Stilpräferenz dagegen: eine christlich-kirchliche Semantik. Dass der protestantische Theologe Klie diese Beisetzungsform unberücksichtigt lässt, mag auch damit zusammenhängen, dass die evangelischen Kirchen bislang stärker auf eine christliche Ausgestaltung des Waldbestattungs-Konzeptes setzen, wie dies etwa bei dem 2007 eröffneten Friedwald in evangelischer Trägerschaft auf dem Schwanberg in der Nähe von Würzburg der Fall ist, während katholischerseits die Initiativen zur Einrichtung kirchlicher Kolumbarien stärkere Verbreitung gefunden zu haben scheinen als protestantischerseits16.
Der Wandel der Bestattungskultur, insbesondere das Aufkommen neuer Bestattungsformen mit ihren jeweils zugrunde liegenden Motivationslagen, stellt zweifelsohne eine Herausforderung und Anfrage an die Pastoral dar. Welche theologischen Kriterien können hier für eine angemessene Beurteilung und Einschätzung in Anschlag gebracht werden?

Pastoraltheologische Kriterien

Eine ausgefaltete (Pastoral-)Theologie von Tod und Bestattung kann hier verständlicherweise nicht aufgezeigt werden. Doch einige wesentliche Aspekte sollen hier skizziert werden.
Zentraler Zielpunkt allen pastoralen Handelns der Kirche ist das umfassend zu verstehende Wohl und Heil des Menschen – nach dem Vorbild und Beispiel Jesu Christi, der von sich selbst sagt, er sei gekommen, „damit sie [die Menschen] das Leben haben und es in Fülle haben“ (Joh 10,10). Lebensdienlich und umfassend wird dieser pastorale Heilsdienst der Kirche aber nur dann sein, wenn er den Menschen als leibseelische Ganzheit sowie in seinen sozial-kontextuellen Bezügen und zugleich in seiner Verwiesenheit auf Gott sieht17.
Schon recht bald wurde es in der Frühen Kirche nicht nur als Pflicht der Angehörigen, sondern auch als Aufgabe der christlichen Gemeinden verstanden, für die Verstorbenen Sorge zu tragen und den trauernden Hinterbliebenen beizustehen. Dies fand ihren Ausdruck in der Entwicklung einer christlichen Sterbe- und Begräbnisliturgie, aber auch in der seelsorgerlichen Begleitung der Sterbenden wie der Trauernden. Tote zu begraben und Trauernde zu trösten wird darum in der christlichen Tradition auch jeweils als Werk der Barmherzigkeit angesehen18.
Das aber zeigt schon: Pastorales Handeln im Bereich von Tod und Trauer hat zwei wesentliche Dimensionen bzw. Zielgruppen: einerseits die Sorge um die Sterbenden sowie um das würdige Begräbnis und Gedächtnis der Toten und andererseits die Sorge um die trauernden Hinterbliebenen. Aus dieser doppelten Perspektive ergibt sich auch eine doppelte Anfrage an die Formen der gegenwärtigen Bestattungskultur, wenn es um deren pastoraltheologische Beurteilung geht: Liegt hier ein pietätvoller Umgang mit den Verstorbenen vor? Und nicht weniger bedeutsam stellt sich als zweite Frage: Ist diese Ausprägung der heutigen Bestattungskultur auch für die Hinterbliebenen Unterstützung in der Bewältigung ihrer Trauer?
Die Forderung nach einem pietätvollen Umgang mit den Verstorbenen, ihren Leichnamen und deren Asche nach einer Kremation ergibt sich aus dem ethischen Postulat der Menschenwürde. Da der tote Leib in Kontinuität mit dem Verstorbenen zu seinen Lebzeiten steht und Ausdrucksmedium seiner Persönlichkeit war, da zudem der Leichnam noch ganz auf diejenige Person verweist, die jetzt nicht mehr lebt, ist mit ihm in pietätvoller, das heißt in ehrfurchtsvoller Weise umzugehen19. Nicht von ungefähr wird es in den verschiedensten Kulturen und Religionen als extremer Tabubruch angesehen, wenn selbst Leichnamen kein Respekt mehr entgegengebracht wird und diese geschändet werden.
Im christlichen Verständnis gründet die Forderung der Menschenwürde in der Gottebenbildlichkeit, die den Menschen als Ganzes auszeichnet. Der pietätvolle Umgang der Jünger mit dem Leichnam Jesu war zudem normatives Vorbild für die Entwicklung einer eigenen christlichen Begräbniskultur. Diese zeichnet sich dadurch aus, dass sie Vereinseitigungen meidet, wie die Pastoralkommission der DBK in ihrem Dokument „Tote begraben und Trauernde trösten“ aus dem Jahr 2005 festgehalten hat:

„Weder peinliche Todesverdrängung oder leichtfertiges Vergessen der Toten, noch ängstliche Fixierung auf den Tod oder übertriebener Leichenkult sind angemessen.“20

Aus dem Postulat eines pietätvollen Umgangs mit den Verstorbenen folgt, dass auch der Beisetzungsort dieser Vorgabe gerecht werden muss; ferner, dass dieser als solcher gekennzeichnet ist und mit einem namentlichen Gedächtnis verbunden wird. Aus der Allgemeinheit dieser Kriterien wird bereits deutlich, dass dies nicht zwingend ein Friedhof sein muss. Andererseits ist eine anonyme Bestattung, selbst wenn sie in einem Friedhof erfolgt, mit diesen Maßgaben nicht vereinbar; denn zu sehr besteht die Gefahr, dass die Beisetzung damit zu einer bloßen Entsorgung werden würde – gewiss ein schwerer Bruch mit der Forderung menschlicher Würde. Doch nicht nur die Personwürde der Verstorbenen macht eine namentliche Kennzeichnung des genauen Bestattungsortes notwendig. Auch für die Trauerbewältigung der Hinterbliebenen ist ein konkreter Ort für ihre Trauer sehr bedeutsam, wie erfahrene Trauerbegleiter immer wieder berichten.
In diesem Zusammenhang ist schließlich auch die seitens der Kirchen wiederholt erhobene Forderung zu sehen, dass es an den Bestattungsorten möglich sein muss, Zeichen der christlichen Hoffnungsbotschaft, etwa ein Kreuz, anzubringen21; denn die christliche Auferstehungshoffnung vermag als Ressource in der Trauerbegleitung Trost zu spenden und macht die vor Gott bleibende Würde deutlich: „Christen gedenken der Toten – nicht damit sie leben, sondern weil sie leben“ – so bringt es Konrad Baumgartner auf den Punkt22.
Eine christlich verantwortete Pastoral, die dem für sie grundlegenden Anspruch gerecht werden will, lebensdienlich zu sein, muss somit in die Auseinandersetzung mit den Veränderungen der gegenwärtigen Bestattungskultur zwei Grundanliegen einbringen: die pietätvolle Sorge für die Verstorbenen sowie die Sorge um die Trauerbewältigung der Hinterbliebenen.

Theologisch-pastorale Optionen

Wie aktuell und drängend die Frage nach einem christlichen Umgang mit den veränderten Formen der Bestattungskultur gegenwärtig ist, zeigt die Tatsache, dass auch die römische Kongregation für die Glaubenslehre sich zuletzt zu dieser Thematik geäußert hat. Am 15. August 2016 veröffentlichte sie die „Instruktion ‚Ad resurgendam cum Christo‘ über die Beerdigung der Verstorbenen und die Aufbewahrung der Asche im Fall der Feuerbestattung“23. Anlass für dieses Schreiben war, wie es darin heißt, die Zunahme der Kremationen in einigen Ländern und „auch neue Ideen, die dem Glauben der Kirche widersprechen“ (Nr. 1). Offenkundig sind damit neue Bestattungsformen und die dahinterstehenden Konzeptionen gemeint. Die Instruktion wiederholt die bekannte Empfehlung der Erdbestattung des Leichnams als „angemessenste Form“, ebenso aber die Zulässigkeit der Feuerbestattung für katholische Christen, sofern damit keine Motive verbunden werden, die dem christlichen Glauben widersprechen (Nr. 3 f.; vgl. can. 1176 § 3 CIC/1983). Das Erdbegräbnis soll, so heisst es dort weiter, „auf einem Friedhof oder an einem anderen heiligen Ort“ erfolgen (Nr. 3), die Aufbewahrung der Asche nach einer Kremation ebenso „an einem heiligen Ort […], also auf einem Friedhof oder, wenn es angebracht ist, in einer Kirche oder an einem für diesen Zweck von der zuständigen kirchlichen Autorität bestimmten Ort“ (Nr. 5). Damit sind Kolumbarien in Kirchen, gegebenenfalls aber auch Waldbestattungen möglich. Verboten hingegen wird in der Instruktion ausdrücklich das Ausstreuen der Asche in der Luft, auf dem Land oder auf Gewässer sowie ihre Aufbewahrung in Erinnerungsgegenständen, als Schmuckstück oder in anderen Artefakten, und zwar um pantheistische, naturalistische oder nihilistische Missverständnisse zu vermeiden (Nr. 7). Aufschlussreich allerdings ist nun eine Ausnahme, die die Glaubenskongregation zugesteht: Demnach ist das Aufbewahren der Asche im Wohnraum an sich nicht zulässig; liegen hier jedoch schwerwiegende und außergewöhnliche Umstände vor, abhängig konkret von „kulturellen Bedingungen lokaler Natur“, dann kann der Ortsordinarius im Einvernehmen mit der Bischofskonferenz dies erlauben, sofern ein pietätvoller Umgang mit der Asche gewährleistet wird (Nr. 6).
Mit dieser Ausnahme wird offenkundig Rücksicht genommen auf den jeweiligen kulturellen Hintergrund, auf die notwendige Inkulturation des Evangeliums. Kirchliches Handeln muss auf die anthropologischen Gegebenheiten, auf die konkrete kontextuelle Situation der Menschen, auf ihre Lebens- und Glaubenserfahrungen eingehen. Diese Aufgabe stellt sich angesichts der Wandlungen der Zeit je neu und unaufhörlich – auch im Bereich der Bestattungskultur, so wird damit deutlich.
Dabei gibt es durchaus Chancen, auf die kulturelle Entwicklung im Bereich von Tod und Bestattung Einfluss zu nehmen und eine gelingende Gestaltung anzuregen. Wie das in den vergangenen Jahren durch eine intensive praktisch-theologische Debatte und durch kirchlich-pastorales Engagement bereits geschehen ist, soll anhand folgender Beispiele verdeutlicht werden:
1. So ist es sicher als Erfolg anzusehen, dass für die angemessene Verabschiedung und Beisetzung tot- und fehlgeborener Kinder inzwischen eine größere Sensibilität entstanden ist, nicht zuletzt aufgrund entsprechender praktisch-theologischer und kirchenoffizieller Publikationen24. Die gesetzlichen Regelungen wurden hier geändert, eigene Bereiche für die Beisetzung dieser Kinder auf Friedhöfen geschaffen und die Begleitung verwaister Eltern intensiviert.
2. Auch für die Bedeutung des Raumes bei Trauerprozessen ist ein neues Bewusstsein gewachsen, wie die grundlegende und impulsgebende Studie von Sabine Holzschuh zeigt25. Obwohl in Deutschland wie in anderen modernen westlichen Gesellschaften knapp 50 Prozent der Menschen in Krankenhäusern und zudem rund 25 bis 30 Prozent in Alten- und Pflegeheimen sterben26, gab es dort vielfach keine adäquaten Abschiedsräume. Leichname wurden teilweise bis zur Abholung durch die Bestatter im Patientenzimmer belassen oder aber in Abstellkammern und Bettenlager verbracht. Mittlerweile jedoch haben die meisten Krankenhäuser und Heime, ebenso aber auch Friedhöfe eigene, ansprechend gestaltete Räume eingerichtet, in denen sich die Hinterbliebenen in pietätvoller Weise und ohne Zeitdruck von ihren Verstorbenen verabschieden können.
3. Noch vor wenigen Jahren befürchtete man eine weitere und drastische Zunahme der anonymen Bestattungen. In der Bundesrepublik Deutschland lag laut einer Aeternitas- bzw. Emnid-Studie (April 2004) im Jahr 1991 der Anteil der anonymen Beisetzungen an den Bestattungen insgesamt noch bei 5,6 Prozent, im Jahr 2003 hingegen schon bei 9,1 Prozent – mit der Erwartung eines weiteren Anstiegs27. 2014 lag dieser Anteil tatsächlich aber nur mehr bei rund 5 Prozent, so eine Pressemitteilung August Laumer 488 des Bundesverbandes deutscher Bestatter28. In einer Emnid-Umfrage aus dem Jahr 2011 äußerten sogar lediglich 3 Prozent der Befragten, dass sie sich für sich selbst eine anonyme Urnenbestattung wünschen29. Offenbar hat die Aufklärung über die Problematik dieser Bestattungsform, nicht zuletzt durch die Bestatter selbst30, zu einem Rückgang geführt. Auch wurden Alternativen zu einer gänzlich anonymen Beisetzung entwickelt, etwa sogenannte halbanonyme Bestattungen mit namentlicher Nennung des bzw. der Verstorbenen am Rand der Urnenbegräbnisfläche auf einem Stein oder einem Kunstwerk oder die Waldbestattung mit namentlicher Kennzeichnung des Beisetzungsortes.
4. Etwas überraschend ist, dass auch die Kirchen, zumal die katholische Kirche, ihre Reserviertheit gegenüber der Kremation aufgegeben zu haben scheinen. Dies legt sich nahe angesichts kirchlicher Kolumbarien wie etwa der Allerheiligenkirche in Erfurt, der Grabeskirche St. Josef in Aachen, der ehemaligen Pfarrkirche St. Konrad in Marl oder der Krypta des Hamburger Mariendomes31. Alle diese kirchlichen Kolumbarien erfreuen sich zudem großer Beliebtheit und Nachfrage. Die Verbindung von Beisetzungsort und kirchlichem Raum mit seinen Kunstwerken ermöglicht eine Vermittlung der christlichen Hoffnungsbotschaft an die Hinterbliebenen; noch mehr aber macht sie deutlich, was Kirche eigentlich ist: eine Gemeinschaft der Lebenden und der Toten in Gott. Doch damit dies auch tatsächlich erkennbar wird, wäre es notwendig, dass bei der Umgestaltung einer nicht mehr benötigten Kirche zum Kolumbarium nicht nur eine (möglicherweise) finanziell tragfähige Weiterverwendungsmöglichkeit des Kirchenraums gesucht, sondern zugleich ein umfassendes pastorales Konzept entwickelt wird, etwa ausgehend von den Fragen: Wer hat eigentlich Zugang zum Kolumbarium? Welche Ansprechpartner stehen hier den Trauernden zur Verfügung? Wie wird die Gemeinschaft der Lebenden und der Verstorbenen im kirchlichen Raum des Kolumbariums konkret erfahrbar32?
Gerade das Beispiel kirchlicher Kolumbarien macht deutlich, wie sehr Kirche und Pastoral auf die Gegenwartskultur eingehen können und eingehen sollten; denn hier wird der Trend zur Kremation aufgenommen, ebenso die verständliche Sorge um die Grabpflege und mit einer christlichen Semantik geantwortet. Damit zeigt sich, dass auch der gegenwärtige Wandel der Bestattungskultur nicht nur eine Herausforderung für Theologie und Seelsorge darstellt, sondern zugleich manche Chance in sich birgt, diese kulturellen Wandlungsprozesse in christlichem Geist zu gestalten. Und diese Chancen gilt es zu nutzen.

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