Jeder Baum, der nicht gute Früchte bringt, wird abgehauen und ins Feuer geworfen. Darum, an ihren Früchten sollt ihr sie erkennen. Es werden nicht alle, die zu mir sagen: Herr, Herr!, in das Himmelreich kommen, sondern die den Willen tun meines Vaters im Himmel. Es werden viele zu mir sagen an jenem Tage: Herr, Herr, haben wir nicht in deinem Namen geweissagt? Haben wir nicht in deinem Namen Dämonen ausgetrieben? Haben wir nicht in deinem Namen viele Machttaten getan? Dann werde ich ihnen bekennen: Ich habe euch nie gekannt; weicht von mir, die ihr das Gesetz übertretet!
Darum, wer diese meine Rede hört und tut sie, der gleicht einem klugen Mann, der sein Haus auf Fels baute. Als nun ein Platzregen fiel und die Wasser kamen und die Winde wehten und stießen an das Haus, fiel es doch nicht ein; denn es war auf Fels gegründet. Und wer diese meine Rede hört und tut sie nicht, der gleicht einem törichten Mann, der sein Haus auf Sand baute. Als nun ein Platzregen fiel und die Wasser kamen und die Winde wehten und stießen an das Haus, da fiel es ein und sein Fall war groß. Und es begab sich, als Jesus diese Rede vollendet hatte, dass sich das Volk entsetzte über seine Lehre; denn er lehrte sie mit Vollmacht und nicht wie ihre Schriftgelehrten.
Eine schreckliche Rede.
In Schuld oder Ahrweiler könnte ich darüber nicht predigen. In Schuld und Ahrweiler und in all den anderen von der Flut betroffenen Dörfern und Städten sind die Köpfe und Herzen derart gefüllt mit den schrecklichen Bildern, als dass sie die wohlfeile Predigt eines unbetroffenen Pastors anhören könnten.
Schweigen, aushalten, anpacken ist da angesagt, keine Reden schwingen „über“ Klimaveränderung und menschengemacht, kein besserwisserisches „Man hätte es kommen sehen müssen“.
Schweigen, aushalten, anpacken.
Im Vorfeld dieses Sonntags haben sich Prediger und Prediger darüber schriftlich ausgetauscht, ob wir denn und was wir denn überhaupt „sagen“ könnten angesichts der dramatischen Bilder und vor allem mit Blick auf die Opfer: die, die in ihren Kellern ertranken oder erschlagen wurden, die, die um sie trauern, und die, die ihr Haus verloren, die Einrichtung und die Schätze ihrer Vergangenheit: Dokumente, Bilderalben, Briefe …
Ich könnte das Thema einfach aussparen. Lasst uns über etwas anderes nachdenken, etwas, was uns Mut macht, was uns trägt!
Geht das? Können wir uns selbst psychologisch austricksen, vielleicht mit der Absicht von „Seelsorge“ im Gottesdienst in Jesteburg, weit ab von der Tragödie, einfach trotzig weiter fröhliche Lieder singen, einen anderen Predigttext wählen?
Es hätte auch einen Sinn. Wir dürfen uns nicht auf die Katastrophen der Welt fixieren. In Maßen sind Ablenkung, Zerstreuung, Themawechsel gesund.
Doch gelingt das hier und heute? Und darf das wirklich sein, wenn wir uns versammeln im Namen des lebendigen Gottes, zu Gott beten und Gottes Wort aus der Bibel hören und zu verstehen suchen?
Ich könnte auch anders in die seelsorgerliche Haltung gehen und sozusagen eine Art Traueransprache halten in Abwesenheit der eigentlich Betroffenen. Und wir hier trauerten dann mit ihnen, jedenfalls ein bisschen. Mir widerstrebt das. Ich kann und will das nicht. Es käme mir anmaßend vor, so zu tun, als wären wir alle derart tief im Mitgefühl, dass wir schon darum gar nicht anders könnten, als mit den Trauernden zu trauern.
Drittens könnte ich eine politische Predigt halten. Das schlage einige Prediger und Predigerinnen jetzt vor. Da wäre dann von der dringenden Umkehr in der Politik zu sprechen, von Hochwasserschutz und Respekt vor der Natur, von der Notwendigkeit, die Erderwärmung möglichst schnell zu bremsen. Es wäre von den Kosten die Rede und von der innergesellschaftlichen und interkontinentalen Gerechtigkeit.
Das wiederum ist mir zu einfach und zu platt. All das ist jetzt wichtig, aber nicht das Erste und das Wichtigste, was uns der fast 2000 Jahre alte Text aus dem Matthäus-Evangelium „sagen“ könnte.
Bleibt also – wieder einmal und ganz bewusst – nur der Weg „in“ den biblischen Text hinein, keine Ausflucht ins Schweigen, kein billiges Gerede, keine scheinbare Seelsorge, keine einfache politische Münze, sondern: Was lesen wir denn da? Hören wir noch einmal genau hin:
Jeder Baum, der nicht gute Früchte bringt, wird abgehauen und ins Feuer geworfen. Darum, an ihren Früchten sollt ihr sie erkennen. Es werden nicht alle, die zu mir sagen: Herr, Herr!, in das Himmelreich kommen, sondern die den Willen tun meines Vaters im Himmel. Es werden viele zu mir sagen an jenem Tage: Herr, Herr, haben wir nicht in deinem Namen geweissagt? Haben wir nicht in deinem Namen Dämonen ausgetrieben? Haben wir nicht in deinem Namen viele Machttaten getan? Dann werde ich ihnen bekennen: Ich habe euch nie gekannt; weicht von mir, die ihr das Gesetz übertretet!
Martin Luther hat uns lehren wollen, die Bergpredigt Jesu – und deren Schluss sind unsere Verse – als ein unmöglich zu erfüllendes Gesetz zu verstehen, das uns zur frommen Verzweiflung bringen soll, auf dass wir vor Gott in den Staub knien und bekennen wie der „verlorene Sohn“ es tat: „Vater, ich habe gesündigt gegen den Himmel und vor dir; ich bin hinfort nicht mehr wert, dass ich dein Sohn heiße“ (Lk 15,21). Dann, sagte Luther, wird eine jede und ein jeder von uns, allesamt verlorene Söhne und verlorene Töchter, erfahren, dass der „Vater“ barmherzig und gnädig ist. Dann geschieht die eine notwendige Umkehr im Leben, von der das zeitliche Wohl und das ewige Heil abhängen: Dass ich zum „Glauben“ „an“ den Erlöser Jesus Christus komme, dass ich meine eigene „Gerechtigkeit“, so brüchig sie sein mag, völlig aufgebe, und mir die vollkommene Gerechtigkeit des einen sündlosen Menschen Jesus, des Erlösers Jesus Christus, sozusagen „anziehe“. Ich werde bekleidet mit der Gerechtigkeit Christi und damit erlöst vom ewigen Tod. Was auch immer mir auf der Erde gelingt oder misslingt, was auch immer mir widerfährt, sei es Glück oder Unglück, Segen oder Mühsal oder Segen durch Mühsal hindurch … es ist angesichts der einen entscheidenden Lebenswende nur sekundär wichtig. Auch Krieg und Pest und Fluten konnten in den Augen Luthers ihn nicht von Gott und Gottes Liebe trennen. Wie schon Paulus schrieb: „Ich bin gewiss, dass weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte noch Gewalten … weder Hohes noch Tiefes … uns scheiden kann von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserem Herrn“ (Römer 8, 38 ff.).
Ja, Luther … ja, Paulus … zu Beginn des 21. Jahrhunderts, spätestens jetzt, heute, sollten wir weiter blicken und tiefer und präzise in die Wunden unserer 2000-jährigen Geschichte als Kirche und mit unserer christlichen Theologie. Es geht um das Zentrum unseres Glaubens. Die Katastrophe an der Ahr und anderswo schreit nicht nur nach politischen Konsequenzen, sondern nach einer ernsthaften geistigen Anstrengung um die Frage herum, die Dietrich Bonhoeffer, in anders katastrophaler Zeit geschult, so formulierte: „Was glauben wir wirklich, d.h. so, daß wir mit unserem Leben daran hängen?“ (August 1944)
Wir dürfen und wir sollen auch die Freiheit uns schenken lassen, mit Luther und auch mit Paulus über Luther und auch über Paulus hinauszudenken!
Kann man das? Gegenfrage: Wie sollte man es vermeiden, ohne sich selbst zu betrügen? Wer Zeitung liest, wer sich informiert, wer geistig in Bewegung bleibt, wer sein Herz nicht verhärtet, für den oder die sind die Bilder aus Schuld und anderen Gegenden der Welt Anfragen nicht bloß an den eigenen Lebensstil oder an die Politik; sondern sie provozieren tabulose geistige Fragen, die an das Herz dessen gehen, was wir so „glauben“, dass wir „mit unserem Leben daran hängen“, wie Bonhoeffer bewusst und provokant formulierte.
Da geht es dann nicht um etwas Frömmigkeit, um „Spiritualität“, um geistig-seelische Wellness gar. Da geht es auch nicht darum, tapfer – als „letzte Ritter“ sagte Bonhoeffer zu solchen Leuten – die ehrwürdige christliche Lehre, m. w. mit Paulus und Luther, hochzuhalten und einer entfesselt sich gebärdenden ungläubigen, jedenfalls unkirchlichen „Welt“ entgegenzustellen, als „hätten“ wir, die wir das und das zu „glauben“ behaupten, noch die Gewissheit von Menschen wie Luther, Paul Gerhardt oder auch Dietrich Bonhoeffer, allesamt zutiefst angefochten im Übrigen und öfter, als viele wissen, am Rande der Verzweiflung und des Unglaubens.
Lesen wir neu! Hören wir neu! Was sagt denn dieser vom Evangelisten Matthäus zum „Bergprediger“ zusammengefasste Jesus? Spricht er von Gottes Gnade? Von einem Glauben contra „Werkgerechtigkeit“, wie Luther meinte? Geht es ihm um die „Liebe Gottes“, von der uns nicht einmal der Tod – und auch Todesfluten nicht – scheiden könnten? Darum noch einmal der Text:
Jeder Baum, der nicht gute Früchte bringt, wird abgehauen und ins Feuer geworfen. Darum, an ihren Früchten sollt ihr sie erkennen.
Hier jedenfalls, hier in der Bergpredigt, aufgeschrieben bei Matthäus, ist Jesus nicht „nett“, wie meine Konfirmandinnen nicht müde werden zu wiederholen. Ganz und gar nicht nett ist dieser Jesus. Im Gegenteil. Ein harter Bußprediger, der hier dieselben Worte benutzt wie sein Vorgänger, der so feurige wie düstere Prophet Johannes der Täufer. Er legt wert nicht auf den „Glauben allein“ (Luther), sondern auf einen Glauben, der gute Früchte bringt. Das hat zwar auch Luther wohl gelesen und eine schöne Auslegung dazu gefunden. Er sagte: Wer „an“ Christus Jesus „glaubt“, der kann gar nicht anders, als aus lauter Freude und Dankbarkeit und neuer Liebe zu Gott heraus auch Gutes zu tun seinem Nächsten.
Eine schöne Idee war das! Und hat sie funktioniert?
Jesus war kein Christ. Jesus war Jude. Und als ein jüdischer Prophet spricht er hier. Er betont nicht die Passivität des Menschen, sondern seine Aktivität. Er betont an dieser Stelle (!) nicht Gottes zuvorkommende Liebe, Barmherzigkeit und Gnade, sondern Gottes Forderung, tatsächlich das, was Luther abwertend das „Gesetz“ oder auch der „Jüden Sachsenspiegel“ nannte: die Tora Israels, d. h. vor allem die zehn Gebote, das doppelte Liebesgebot, Gott und sein Nächsten wie sich selbst zu lieben, aber auch die anderen Gesetze drum herum.
Für den Juden Jesus war Gottes Forderung nicht zuerst ein tödliches „Gesetz“ wie für Luther, sondern eine das Leben ermöglichende Richtschnur, ein vielfältiger göttlicher Hinweis, wie menschliches Leben möglich sei in Israel und darüber hinaus.
Und so lässt sich das auf den ersten Blick vielleicht verstörende Gleichnis am Ende der Bergpredigt doch neu verstehen. Es geht nicht um den einzig wahren „Glauben“ „an“ Jesus – und wer den nicht bekennt, dessen Lebenshaus versinkt in Sand und Wasser. Jesus ging es vielmehr um alles, was er in seiner „Rede“ zuvor gesagt hatte.
Matthäus fasst damit zusammen, wie er Jesu gesamte Bergpredigt versteht: Angefangen von den Seligpreisungen: „Selig sind, die da Leid tragen, die Barmherzigen, die Frieden stiften …“, über den Zuspruch an die Jünger und Jüngerinnen, sie selbst seien das „Salz der Erde“ und das „Licht der Welt“, weiter zu der Betonung, er, Jesus, wolle das „Gesetz“, d. h. die Tora, keineswegs „auflösen“, sondern – mit Taten – „erfüllen“ und so auch von seinen Jüngern und Jüngerinnen mit-erfüllt sehen (!), über das „Vaterunser“ und die Mahnung, nicht dem „Geld“ anheimzufallen, bis zu diesem Ende ging es Jesus um ein neues Leben derer, die sich dem Jesus angeschlossen hatten. „Früchte“ wollte Jesus sehen. Das war ihm Beweis genug, dass kräftige und gesunde Bäume da waren, gepflanzt an den Wasserbächen der Tora, wie es in Psalm 1 heißt.
Und nun das gewagte und für uns heute aktuell so schreckliche Bild von dem Haus, das durch Sturm und Sand und Wasser hinweggespült wird: Es meint natürlich nicht die Menschen in Schuld und Ahrweiler. Es meint uns alle, die wir „seine Rede“ vielleicht hören, vielleicht verstehen, aber vielleicht nicht danach „tun“.
Kein zorniger Gott im Himmel, kein Kinderschreck-Götze ist gemeint, sondern die einfache Feststellung: So was kommt von so was. Klassisch jüdisch. Weit weg von Luthers Umdeutung, weil hier nicht die abgründige Angst vor Gott im Hintergrund regiert. So war es bei Luther. Vielmehr lebte der Nazarener aus dem Vertrauen an einen Gott, der seine Sonne aufgehen lässt über Gute und Böse, Gerechte und Ungerechte.
Wir alle aber, ob solche oder solche oder meistens wohl gemischt …, müssen mit den Folgen unseres Verhaltens rechnen. Vernunft und vernünftiges Handeln ist im Blick, wenn Jesus ein Gleichnis wie dieses erzählt. Nicht Panikmache ist seine Absicht, sondern Einweisung in eine Vernunft, die mit Lebensgefahren klarkommt.
Darum, wer diese meine Rede hört und tut sie, der gleicht einem klugen Mann, der sein Haus auf Fels baute.
Pfarrer Dr. Bernd Vogel