Schuld und Vergebung

Ein Leben ohne Schuld gibt es nicht. Vor einer möglichen Vergebung gilt es, sie sich selbst einzugestehen: Wo bin ich schuldig geworden? Wo verweise ich auf andere, um mich zu entlasten? Ganze Nationen können schuldig werden, wie die Deutschen zur Zeit des Nationalsozialismus oder die Amerikaner und Südafrikaner mit ihrer Diskriminierung von Menschen mit schwarzer Hautfarbe. Und doch kann ein Neuanfang gelingen, individuell und kollektiv.

Schuld ist eine schwere Belastung der Seele. Da geht es um uns selbst, wenn wir schuldig werden. Und das werden wir am Ende alle, im Kleinen oder im Großen. Die Vaterunser-Bitte „Und vergib uns unsere Schuld“ macht das gut deutlich. Da gibt es die Schuldgefühle in Beziehungen, etwa weil ich mich nicht genügend um meine Eltern gekümmert habe. Schuldig kann ein Mensch werden gegenüber dem Ehepartner, den Kindern, wenn er oder sie nicht so viel geben konnte, wie die anderen es sich gewünscht hätten. Manchmal aber dienen Schuldzuweisungen an andere aber auch der eigenen Entlastung. Das erleben wir, wenn Erwachsene ihre Eltern für bestimmte Verhaltensweisen verantwortlich machen. Oder die Ehepartnerin den Ex-Mann für das Scheitern der Ehe. Aber anderen Schuld zuzuweisen hilft am Ende nicht weiter. Wir müssen trotzdem unseren eigenen Lebensweg meistern. 

Wenn wir in Beziehungen schuldig werden, belastet das zuallererst uns selbst. Da wollen zwei Menschen ein Leben zusammen verbringen. Aber dann gerät der gemeinsame Weg aus dem Blick, Entfremdung tritt ein, vielleicht auch Ehebruch, weil eine dritte Person die Gefühle füreinander in Frage stellt. Ich bin überzeugt, niemand wird in Beziehungen bewusst schuldig. Nicht umsonst gilt bei Ehescheidung heute nicht mehr das Schuldprinzip, denn in der Regel geht es um Zerrüttung, beide sind beteiligt daran. Aber Menschen können einander zutiefst verletzen.

Wenn wir schuldig werden, können wir uns oft am allerschwersten selbst vergeben. Deshalb ist die Vaterunser-Bitte so tiefgründig formuliert: Bitte vergib du uns, Gott, wo wir selbst oder auch andere das nicht können. Darin liegt die Zusage einer Befreiung. Denn Schuld bedrückt uns. Wenn wir selbst vergeben können oder uns vergeben wird, ist das wie ein tiefes Atemholen. Und Vergeben macht ja auch frei. Wer andere ständig mit dem Blick auf ihre Schuld sieht, sie vielleicht sogar hasst, ist innerlich unfrei. Aber niemand kann gedrängt werden zu vergeben. Deshalb ist die Vergebung Gottes so entlastend.

Es gibt eine andere Schuld, die durch Unachtsamkeit, einen Autounfall etwa, entsteht. Wenn dabei jemand zu Schaden kommt, gilt dasselbe wie bei Beziehungen: Vergeben macht am Ende frei. Ich kann mich fragen: „Wie konnte mir das passieren?“ Aber es ist passiert, ich kann es nicht rückgängig machen und muss irgendwann loslassen, nach vorn schauen, mit den Konsequenzen leben. 

Und es gibt die Schuld, die gezielt durch Verbrechen entsteht. In unserem Land ist der zweite Teil der Vergebungsbitte Teil der Gesetzgebung geworden: „Wie auch wir vergeben unseren Schuldigern. Es geht darum, dass Schuld überhaupt vergeben werden kann. Und dass Menschen auch nach eigenem Schuldigwerden wieder neu anfangen dürfen. Das ist der Grundgedanke der Resozialisierung. Mich wundert, dass er in einem Land wie den USA so gar nicht zum Zuge kommt in der Justiz. Wenn ein Täter zu 135 Jahren Haft verurteilt wird, ist klar, dass er nie mehr Teil der Gesellschaft werden kann. Dabei ist die Bibel voll von Geschichten von Menschen, die schuldig werden und denen Gott dennoch einen Neuanfang zutraut. Mose ist ein Mörder und führt anschließend das Volk Israel in die Freiheit. Petrus verrät seinen Freund Jesus, kaum ist der verhaftet, wird aber bald „der Fels, auf den die Kirche aufbaut“.

Schließlich geht es auch um den Umgang mit kollektiver Schuld. Unser Land ist schuldig geworden, als Millionen Juden, aber auch Kommunisten, Homosexuelle systematisch ermordet wurden. Manche möchten diese Schuld gern auslöschen, sie der Vergangenheit anheimstellen, für die „Nachgeborene“ nicht verantwortlich sind. Es hat sich aber gezeigt, dass Deutschland großer Respekt für den offenen Umgang mit Schuld gezollt wird. Mir ist wichtig, dass wir dazu stehen, denn auch das befreit. Ich bin froh, in einem Land zu leben, in dem die eigene Vergangenheit nicht verschwiegen wird, wenn sie mit großer Schuld verbunden ist.

Es ist fatal, wenn die Folgen der Sklaverei in den USA geleugnet werden, wie Donald Trump es tut. Wie gut, dass dort eine Debatte darüber entbrannt ist, ob eigentlich ehemalige Sklavenhalter verehrt werden sollten, selbst wenn sie Präsidenten der USA waren wie Jefferson. Wenn manche heute versuchen, die Kolonialzeit auszulöschen, so zu tun, als gebe es keinen Bezug zur Lage in vielen afrikanischen Ländern, zum Rassismus auf der Welt, ist das ein Zeugnis von Schwäche. Denn es sind Menschen mit einer klaren Haltung, die zu persönlicher und kollektiver Schuld stehen können. So erst ist Neuanfang überhaupt möglich.

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