AusgrenzungSelbstbezeichnung „Kanak“

Mitten im Corona-Lockdown erreichte ein schreckliches Video aus den USA die Öffentlichkeit: Ein weißer Polizist kniet auf einem überwältigten schwarzen Zivilisten, der nach wenigen Minuten stirbt. „I can’t breathe“ waren seine letzten Worte. Seitdem lässt die Debatte über Ausgrenzung aufgrund von Anderssein auch bei uns nicht nach. Wann hören wir endlich auf, Menschen nach ihrer Herkunft oder ihrem Aussehen zu beurteilen?

Selbstbezeichnung
© JohnnyGreig/iStock.com

Nachdem George Floyd in den USA am 25. Mai durch Polizeigewalt starb, hat Carolin Kebekus in ihrer Show am 4. Juni einen „Brennpunkt“ zum Rassismus in Deutschland eingefügt. Sie hatte sich überlegt, dass sie selbst als weiße Frau dazu kaum einen authentischen Beitrag leisten könnte. Also haben Menschen, die aufgrund ihrer Hautfarbe in Deutschland Rassismus ausgesetzt sind, davon berichtet, moderiert von Shary Reeves. Sie sagt sehr klar: „Menschen mit heller Haut können nicht nachempfinden, was Menschen mit dunkler Haut fast täglich an Benachteiligung widerfährt.“

Das ist ein wichtiger Ansatzpunkt. Wer helle Haut hat, kann es nicht wirklich empfinden. Gern sagen liberal Denkende weißer Hautfarbe, sie selbst würden gar keine Hautfarbe wahrnehmen. Aber da sollten wir alle, die hellhäutig sind wie ich, in uns gehen und überlegen, ob das wirklich stimmt. Habe ich nicht auch einen inneren Rassismus, der tief sitzt?

In dem Brennpunkt (können Sie bei Youtube anschauen) kommen dann deutsche Schauspielerinnen, Comedians, Journalistinnen, Politiker zu Wort. Ein Musiker erzählt, dass er oft angefeindet werde, wenn er mit seinem blonden Kind unterwegs sei. Andere erzählen, ihnen werde gesagt, sie sollten zurück in ihre Heimat gehen – sie sind Deutsche, Deutschland ist ihre Heimat. Es wird von Gewalt- und Hasserfahrungen erzählt und von Alberto Adriano, der am 14. Juni 2000 bei einem rassistischen Angriff von Neonazis in Dessau starb. Und es wird erinnert an den bis heute unaufgeklärten Tod von Oury Jalloh, der 2005 in Polizeigewahrsam verbrannte. Am Ende fragt Shary Reeves: „Na, kam Ihnen das jetzt etwas zu langatmig vor? Es waren exakt acht Minuten und 46 Sekunden“ – so lange drückte ein Polizist George Floyd die Luft ab, bevor er starb.

Ich finde den Ansatz von Carolin Kebekus gut: Erzählen wir einander, was wir empfinden! Frag doch mal, wie geht es dir? Als Mensch weißer Hautfarbe sollte ich nicht so tun, als habe mein Gegenüber keine dunkle Hautfarbe, sondern hören, ob das Nachteile bringt, Pöbeleien verursacht. Ob jemand Angst hat. Nur wenn wir nicht reden, hat Rassismus Macht. So kann auch eine neue Erzählung von Deutschland entstehen.

In Deutschland insgesamt hat rund jede vierte Person einen Migrationshintergrund. In Westdeutschland sind es knapp dreißig, in Ostdeutschland knapp zehn Prozent. Die Formel, die in der AfD gern für „biodeutsch“ ausgegeben wird – „zwei deutsche Eltern, vier deutsche Großeltern“ stimmt also für jeden vierten Deutschen nicht. Und sie stimmt auch nicht in dem Sinne, den die AfD biologistisch meint. Ein Bekannter von mir ist mit fünf Jahren aus Anatolien nach Deutschland gekommen. Er hat einen deutschen Pass, ist Deutscher ebenso wie seine drei Kinder und Enkel. Die AfD-Definition von „bio“ ist ohnehin Unfug. Denn, siehe oben, inzwischen ist klar: 99 Prozent der DNA von Menschen ist identisch.

In dem Podcast, den Arne-Torben Voigts und ich zweimal im Monat für den NDR aufnehmen, hatten wir Anfang Juli das Thema Rassismus. Lyabo Kaczmarek, eine Hannoveranerin dunkler Hautfarbe – ihr Vater stammt aus Nigeria – erzählte vom täglichen Rassismus. Sie werde regelmäßig gefragt: „Woher stammen Sie?“ Menschen meinen das durchaus nett. Wenn sie antwortet: „Aus Hannover“, fragen die Leute nach: „Ich meine ursprünglich.“ Es bleibt bei: „Aus Hannover“ – und das löst dann geradezu Verärgerung aus. Lyabo ist Kulturmanagerin. Mit ihrem Nachnamen hilft sie manchmal sogenannten „Menschen mit Migrationshintergrund“ bei der Wohnungssuche. Am Telefon klappt das gut, ihr Großvater stammt aus Ostpreußen. Aber sobald sie mit dem Wohnungsbewerber vor der Tür steht, ist es in der Regel eine Absage, berichtet sie.

Im Deutschlandfunk gab es kürzlich eine Sendung, in der junge Leute erzählten, wie sie sich selbst bezeichnen. Eine junge Frau sagte, sie nenne sich in letzter Zeit „Kanak“, einfach, damit das keine Beleidigung mehr für sie sei, wenn andere sie so beschimpfen. Auch darüber würde ich gern reden. 1983 habe ich in einem Gottesdienst eine Fürbitte von Menschen aus Kanake gelesen. Da wurde mir das erste Mal bewusst: Es geht um melanesische Ureinwohner im Südwestpazifik. „Kanaka“ ist eine hawaiische Bezeichnung für Menschen, die von den Europäern schlicht für alle nicht-europäischen Insulaner verwendet wurde. Die Kanaken sind ein traditionelles Volk, das 25 Sprachen kennt. Das Wort ist schlicht keine Beleidigung, es wurde dazu gemacht!

Mich nervt inzwischen der Begriff „Menschen mit Migrationshintergrund“, weil es ein so zwanghafter Versuch ist, politisch korrekt und nicht beleidigend zu formulieren. Aber was ist die Alternative? Müssen wir Herkunft oder Aussehen überhaupt benennen? Erst wenn das nicht mehr der Fall sein sollte, wären wir wirklich über Ausgrenzung aufgrund von einem Prozent der DNA hinweggekommen. Aber da Ausgrenzung und Abgrenzung auch entstehen, weil sie denen, die ausgrenzen, eigene Sicherheit oder gar Überlegenheit vermitteln, wird das noch lange dauern, fürchte ich.

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