Ein Akt der Nächstenliebe: Organspende

Seit fast einem Jahr wird in Politik und Gesellschaft die sogenannte Widerspruchslösung bei der Organspende diskutiert. Sollte sie Gesetz werden, dürften Organe einer verstorbenen Person entnommen werden, sofern diese zu Lebzeiten dem nicht ausdrücklich widersprochen hat.

Organspende - ein Akt der Nächstenliebe
© pixelio; MK: Ingo Pippow

Seit vielen Jahren habe ich wie 32 Prozent aller Deutschen einen Organspendeausweis. Ich habe stets gedacht: Wenn ich sterben muss, warum sollen dann nicht andere Menschen zumindest davon profitieren, indem sie mit meinen Organen weiterleben können? Beispielsweise ohne ständig zur Dialyse gehen zu müssen oder ohne ständige Angst um ihr Leben, weil ihre Lunge nicht funktionsfähig ist. Für mich ist das ein Akt der Nächstenliebe.

Und ich habe mich auch für die Widerspruchslösung ausgesprochen, weil mich ärgert, dass viele Menschen sich mit dieser Frage einfach nicht befassen wollen. Sie bringen damit ihre Angehörigen oft in große Nöte, die in kürzester Zeit entscheiden müssen, ob die Organe gespendet werden, aber nicht wissen, was der Ehemann beispielsweise gewollt hätte. Muss ich widersprechen, wenn ich eine Organentnahme nach meinem Hirntod ablehne, dann kann ich dem Thema nicht einfach so ausweichen.

Aber bei einer ethisch so brisanten Frage ist es auch wichtig, die Gegenargumente ernst zu nehmen. So gibt es rechtliche Bedenken, wenn Angehörige nicht auch votieren können. Es gibt die Frage, ob so überhaupt die Zahl der Organspenden erhöht werden kann. Andere argumentieren, der Hirntod des Menschen werde als Lebensende absolut gesetzt, es sei aber nicht völlig gesichert, ob ein Mensch in diesem Zustand keinerlei Empfindungen mehr habe. Wieder andere meinen, es sei am Ende eine Quälerei für Transplantierte, mit dem neuen Organ zwar weiterleben zu können, aber unter erheblichen Einschränkungen und oft doch auch mit der Folge, dass das transplantierte Organ als Fremdkörper abgestoßen werde. Nicht zuletzt fragen Ethikerinnen und Ethiker, ob mit der Organentnahme bei allen Menschen, die keinen expliziten Widerspruch dagegen zu Lebzeiten eingelegt haben, der menschliche Körper zum Ersatzteillager degradiert werde.

Ich finde gut und richtig, sich mit diesen Argumenten auseinanderzusetzen. Aber das sollte auch jeder Mensch in unserer Gesellschaft tun. Letztes Jahr standen in unserem Land rund 9.500 Menschen auf der Warteliste für ein Spenderorgan. Die meisten von ihnen warten auf eine Spenderniere. Im selben Jahr gab es aber nur 955 Organspenderinnen und Organspender. Das entspricht 11,5 Organspenden je eine Million Einwohner. In Spanien sind es 46,9. Ich fürchte, das liegt daran, dass in Deutschland das Thema Sterben und Tod gern verdrängt wird. Ob die Widerspruchslösung kommt oder nicht: Reden wir darüber! Entscheiden Sie! Wie immer die Entscheidung ausfällt, sie verdient Respekt. Aber nicht entscheiden finde ich unsolidarisch gegenüber denen, deren Leben durch eine Organspende gerettet werden könnte. Jeden Tag sterben in unserem Land drei von ihnen, weil Spenderorgane fehlen.

Übrigens: In der Mehrheit der EU-Länder ist die Widerspruchslösung eingeführt. Dort sind die Wartezeiten der Schwerstkranken auf ein Spenderorgan wesentlich kürzer als in Deutschland. Dazu gehört auch, dass mehr Krankenhäuser als bei uns dort lebensrettende Transplantationen durchführen können.

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