So wichtig wie die Eltern: Geschwister

Die Geschwisterbeziehungen werden wieder enger, wenn wir alt werden. Wenn die Eltern verstorben sind, sind Geschwister die letzten gemeinsamen Zeugen der Kindheitsjahre.

Margot Käßmann und Geschwister 2019
Teilen ihre Kindheitserinnerungen - Margot Käßmann und ihre beiden Schwestern 2019© Privat

Die Geschwisterbeziehung prägt unsere gesamte Kindheit. Sind wir Älteste oder Sandwichkind oder Nesthäkchen – das alles beeinflusst unsere Entwicklung. Da gibt es große Liebe zueinander und große Konkurrenz, Solidarität und Abgrenzung, Zusammengehörigkeitsgefühl und Auseinandersetzung.

Meine Schwestern sind fünf und sieben Jahre älter als ich. Oft merken wir im Rückblick, wie verschieden wir manches wahrgenommen haben. Unsere Eltern waren schlicht auch in verschiedenen Lebensphasen. Und erst spät habe ich begriffen, dass ein gutes Jahr vor mir ein Bruder geboren war, der noch im Krankenhaus als Säugling verstarb. Ich war also das vierte, nicht das dritte Kind, und das wird die Familie insgesamt auch geprägt haben.

Erstaunlicherweise erzählen viele, dass die Geschwisterbeziehungen wieder enger werden, wenn wir alt werden. Und ich denke, das rührt genau daher: Wenn die Eltern verstorben sind, sind Geschwister die letzten gemeinsamen Zeugen jener Kindheitsjahre. Aber die Erinnerungen können wie gesagt durchaus unterschiedlich sein. Hat der älteste Sohn die Eltern jung, dynamisch, verliebt gesehen, so hat der jüngste sie vielleicht als gestresst und schon in Abgrenzung erlebt. War die erste Tochter der Mittelpunkt elterlicher Aufmerksamkeit, so wurde die dritte einfach eingegliedert in ein schon vorhandenes System von Familie.

Unterschiedliche Zeiten von Nähe und Distanz

Als meine Schwestern und ich unsere Mutter beerdigt haben, hat mich die Übereinstimmung sehr bewegt. Wir hatten immer unsere normalen Konflikte und unterschiedliche Zeiten von Nähe und Distanz. Aber da waren wir ganz eng beieinander, sehr harmonisch, verbunden im Verlust dieser Frau, die uns alle von Geburt an geprägt hatte. Wie gut, das gemeinsam zu erleben und ja, auch durchzustehen. Viele Kinder machen heute gar keine Geschwistererfahrung mehr!

Bei meinen vier Töchtern erlebe ich, wie die Verbundenheit variiert. Das hängt auch an der Lebenssituation: Als die Älteste schon verheiratet war und ein Kind hatte, hat die Jüngste noch studiert. Aber ich freue mich daran, wie eng sie im Kontakt stehen, das ermöglichen die neuen Kommunikationsmedien ja auch. Und mit etwas Distanz kann ich als Großmutter neugierig beobachten, wie die Enkelkinder sich aufeinander beziehen.

Ich finde interessant, dass erst in den vergangenen Jahren die Forschung mit Blick auf Geschwister intensiviert wurde. Sigmund Freud etwa hat Geschwisterbeziehungen in seiner Arbeit weitgehend ignoriert, obwohl sie doch so großen Einfluss auf das Leben von Menschen haben. „Inzwischen weiß man, dass Geschwister einen ebenso starken Einfluss auf die Seele eines Menschen haben wie die Eltern“, schreibt Susann Sitzler in ihrem Buch „Geschwister. Die längste Beziehung des Lebens“ (S. 14).

Berühmte Geschwister faszinieren die Öffentlichkeit immer wieder. Das ist schon im Märchen von Hänsel und Gretel so, aber auch bei ihren Autoren, den Brüdern Grimm. An Hans und Sophie Scholl aus dem Widerstand gegen das Hitlerregime denke ich. Aber auch an die leichte Muse, etwa die „Jacob Sisters“, Johanna, Evi, Rosi und Hannelore, die aus ihrer Ähnlichkeit ebenso wie die „Kessler-Zwillinge“ einen Geschäftserfolg machten! Oder Barry, Maurice und Robin Gibb, die als die Bee Gees Welthits auf die Bühne brachten, die bis heute Ohrwürmer sind. Die Boxer Vitali und Wladimir Klitschko und die Fußballer Jérôme und Kevin-Prince Boateng. Kurzum: Geschwister und ihre Beziehungen waren und bleiben faszinierend.

Margot Käßmann und Geschwister 1961
Die Jüngste wird schlicht eingeglieder - 1961 Foto: Privat

Starke Schwestern

Sie erhielten 2016 den Bambi „Stille Helden“: Die syrischen Nationalschwimmerinnen Yusra und Sarah Mardini halfen, 18 Menschen das Leben zu retten, als sie selbst in einem überfüllten, leckgeschlagenen Boot nach Lesbos flüchteten. Yusra nahm 2016 für das Team Refugee Olympic Athletes an den Olympischen Sommerspielen in Rio de Janeiro teil und wurde 2017 zur UN-Sonderbotschafterin für Flüchtlinge des Flüchtlingshilfswerks UNHCR ernannt. Sarah, ebenfalls in der Flüchtlingshilfe engagiert, studiert Politik und Wirtschaft in Berlin.

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