Wenn Hortkinder schlagen, schubsen oder mobben

Regelverstöße von Kindern gehören zur normalen Entwicklung. Aber Gewalt darf sich nicht als Mittel zur Konfliktlösung etablieren.

Wenn Hortkinder schlagen, schubsen oder mobben
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Aggressivität ist vielfältig: Sie reicht von Hänseln und Mobbing bis hin zu körperlichen Übergriffen, Gewalt und späterer Straffälligkeit. Wichtig ist die Differenzierung in proaktive und reaktive Gewalt. Verhält sich ein Kind aus eigenem Antrieb und geplant aggressiv, dann verfolgt es sein Ziel kühl berechnend. Reaktive Aggressivität tritt dagegen eher als Antwort auf eine reale oder vermeintliche Bedrohung auf.
In Betreuungseinrichtungen haben es die Fachkräfte vorwiegend mit oppositionellem Verhalten, aber auch mit körperlichen Übergriffen zu tun. Studien zeigen, dass Jungen körperliche Formen aggressiven Verhaltens bevorzugen: Sie schlagen, treten, schubsen oder packen ihr Gegenüber. Mädchen fallen dagegen eher verbal manipulativ auf. Sie schimpfen laut, agieren trickreich oder spielen Streiche. Die Entwicklungspsychologen Ulrike und Franz Petermann begründen das mit den in der Regel bei Mädchen besser ausgeprägten sprachlichen und sozialen Fähigkeiten. Diese früher als von Jungen erworbenen Kompetenzen bieten Mädchen bessere Chancen, Herausforderungen im Entwicklungsverlauf gut zu bewältigen. Das trägt entscheidend dazu bei, dass Mädchen in ihrer sozialen Umwelt mehr positive Rückmeldungen erhalten und es ihnen dadurch wiederum gelingt, ihre Fertigkeiten und ihr prosoziales Verhalten weiterzuentwickeln. Jungen haben hingegen deutlich schlechtere Startbedingungen. Sie reagieren motorisch unruhiger und impulsiv, sodass sie öfter mit negativen Rückmeldungen ihrer Umwelt konfrontiert sind. Dabei sind aggressive Taktiken durchaus notwendig für die Selbstbehauptung und um eigene Ziele durchzusetzen.
Es gehört zum normalen Entwicklungsprozess, dass Kinder sich täglich auch gegen Regeln auflehnen: Nicht jede Rauferei, nicht jeder Streit unter Grundschülern, nicht jedes Necken und Ärgern ist zu verteufeln. Solche Auseinandersetzungen gehören zum Erlernen sozialer Verhaltensweisen und müssen durch geeignete Erziehungsmaßnahmen kanalisiert werden. Fachkräfte und Eltern sollten sich deshalb auf ein ähnliches Bewertungsmuster verständigen. Ihre Einschätzungen, ab wann aggressive Handlungen zum Problem werden, sollten nicht zu weit auseinander gehen. Eine solche Absprache ist deshalb wichtig, weil aggressives Verhalten trainiert wird, sowohl in der Betreuungseinrichtung wie in der Familie. Je erfolgreicher das Kind damit Probleme lösen oder sich von Anforderungen zurückziehen kann, umso attraktiver wird es diese Technik bewerten und in Konfliktsituationen anwenden. Zudem stellen Kinder, denen es mit aggressivem Verhalten gelingt, ihre Wünsche durchzusetzen, für alle anderen ein attraktives Lernmodell dar. Das führt langfristig zu einem aggressiveren Klima in der Gruppe.

RISIKO FÜR SPÄTERE ENTWICKLUNG

Erleben Kinder darüber hinaus in der Familie häufig Gewalt, werden sie diese Methoden auch bei Konflikten mit Gleichaltrigen einsetzen. In diesem Zusammenhang muss der Einfluss von Medienkonsum und Mediennutzung diskutiert werden: Wenn gewalthaltige Computerspiele und Fernsehserien den Alltag bestimmen, dann orientieren sich Kinder an diesen Vorbildern. Gewalterfahrungen in der Familie, in der Betreuungseinrichtung, im sonstigen Kontakt mit Gleichaltrigen und bei intensiver Mediennutzung verstärken sich wechselseitig und tragen dazu bei, dass sich Aggressionen immer stärker ausbilden. Aggressive Verhaltensauffälligkeiten in der Kindheit gehen mit einem deutlich erhöhten Risiko für späteres Schulversagen, Straffälligkeit und Drogenkonsum einher. Deshalb ist es wichtig, dass Pädagogen diese Probleme früh erkennen und entschieden einschreiten. Denn bei Kindern, die früh aggressive und expansive Symptome entwickeln, hält sich das Problem in späteren Jahren hartnäckig. Es sind also diese „Early-Starters“, die früh erkannt und mit entsprechenden Interventionen unterstützt werden sollten.
Dabei kommt den Betreuungseinrichtungen eine zentrale Rolle zu. Zum einen zeigen sich hier die ersten Anzeichen aggressiven Verhaltens. Zum anderen können die Fachkräfte mit rechtzeitigem Eingreifen spätere Probleme verhindern. Mittlerweile gibt es eine Reihe von Programmen zur Aggressionsprävention bei Kindern und Jugendlichen (siehe Kasten Seite 35). Die Mehrheit zielt auf die Förderung der sozialen und emotionalen Kompetenzen ab. Prävention ist besonders dann erfolgreich, wenn frühzeitig an die jeweilige Person und den Zusammenhang angepasste Maßnahmen kombiniert werden und auf mehreren Ebenen (Familie, Betreuungseinrichtung) angewandt werden. Dabei sollten auch die ausdifferenzierten Entwicklungsmodelle Beachtung finden, die Entstehung und Verlauf aggressiven Verhaltens anhand verschiedener altersspezifischer Risiko- und Schutzfaktoren erklären.
Kurzfristige Interventionsprogramme reichen oft nicht aus. Das Eindämmen aggressiven Verhaltens ist eine mittel- bis langfristige Aufgabe, die nicht nur an die Betreuungseinrichtungen delegiert werden kann. Dafür braucht es Unterstützung aus Medien und Gesellschaft, zum Beispiel über entsprechende Netzwerke und Kooperationen. Hier ist ein Umdenken in der Früherkennung, Prävention und Frühbehandlung dringend notwendig. Und es sei noch einmal besonders betont: Die frühzeitige Identifizierung von hoch gefährdeten Kindern sollte der Ausgangspunkt für weitere intensive diagnostische und spezifische Interventionen sein. Diese Schritte sollten von den Betreuungseinrichtungen ausgehen.

Die Stiftung „Achtung! Kinderseele!“

will mit Informations- und Beratungsangeboten psychischen Störungen im Kindes- und Jugendalter vorbeugen. Hinter der Organisation stehen die drei deutschen Fachgesellschaften der Ärzte für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie. In ihren Projekten engagieren sich die Mediziner ehrenamtlich dafür, dass Kinder seelisch gesund aufwachsen.

www.achtung-kinderseele.org  

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