Die Botschaft von St. Martin für Kinder

Auch Kinder müssen Mitgefühl erst lernen und ein Gefühl für Empathie entwickeln.

Mitgefühl lernen: Die Botschaft von St. Martin
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Die St.-Martins-Legende erzählt von Armut, vom Mitgefühl und der Bereitschaft zu helfen. Ab wann können Kinder einen Sinn für Gerechtigkeit entwickeln und wie kann man sie dorthin führen?

Martin war römischer Soldat, ließ sich mit achtzehn Jahren taufen, wurde Mönch und später Bischof von Tours in Frankreich. Der Kirchenmann des vierten Jahrhunderts stieg zum beliebtesten Heiligen Europas auf, weil er bekannt war für seinen unbestechlichen Gerechtigkeitssinn und seine große Liebe zu den Armen. Eben davon erzählt die Legende: Ohne Zögern teilte Martin seinen Mantel mit einem frierenden Bettler und gab sich selbst mit einer Hälfte zufrieden, nahm also eine persönliche Einschränkung in Kauf. Jahr für Jahr wird die Geschichte nachgespielt, um Millionen Kinder mit den hohen Werten der Gerechtigkeit und der Nächstenliebe vertraut zu machen. Denn darin ist sich die Gesellschaft einig: Kindern soll nicht rücksichtsloser Egoismus, sondern mitfühlender Gerechtigkeits-sinn beigebracht werden. Tatsache ist allerdings, dass die Martinslegende kaum ausreicht, um einen Begriff von der Armut und der Notwendigkeit des Teilens zu bekommen. Dazu bedarf es anderer Mittel und die wirken nicht unbedingt in jedem Alter.

Die Welt gehört mir

Ganz kleine Kinder nämlich sind gar nicht in der Lage, mit einem anderen Menschen zu fühlen. Am Anfang erkennen sie nicht einmal einen Unterschied zwischen sich selbst und der übrigen Welt. Eine Idee von der eigenen Person und der des anderen, vom Ich und vom Du, entwickeln sie erst mit der Zeit. Nach und nach entdeckt ein Baby seine Sinne und beginnt zu erforschen, was um es herum ist. Erst mit dem Begreifen, dem Ertasten von Gegenständen mit den Händen, "begreift" es, dass diese Dinge außerhalb seiner selbst existieren. Ebenso ergeht es ihm mit seinen Mitmenschen. Auch sie wollen wahrgenommen und erfahren sein, ehe sie als das erkannt werden, was sie sind. Dieser Prozess zieht sich durch die ersten beiden Lebensjahre eines Kindes. Bis etwa zum zweiten Geburtstag ist es von Herzen egoistisch, jedenfalls scheinbar. Generationen von Müttern und Vätern machen die gleichen leidigen Erfahrungen auf dem Spielplatz: Ihr kleiner Liebling marschiert auf den kleinen Liebling anderer Eltern zu und nimmt ihm ohne große Umstände seine Schaufel aus der Hand. Der "Bestohlene" schreit wie am Spieß, seine Eltern sind entrüstet, während die des "Diebs" oder der "Diebin" sich peinlich berührt fühlen. Ihre nun folgenden Appelle - "Schau mal, wie traurig das Kind ist." oder "Ihr könnt euch doch eure Spielsachen teilen" - treffen beim Nachwuchs auf völliges Unver-ständnis. Weil Mäxchen immer noch der ehrlichen Meinung ist, die ganze Welt gehöre ihm. Der Zeitpunkt, an dem ein Kind in der Lage ist, sich in seine Mitmenschen hineinzuversetzen, kann bei dem einen früher, bei dem anderen später liegen. Erst, wenn er erreicht ist, machen Erklärungen und Ermahnungen einen Sinn.

Der Bettler in der Fußgängerzone

Erst dann können Erwachsene bei Auseinandersetzungen wirksame Hilfen geben. Der Satz "Weißt du noch, wie du dich gefühlt hast, als Mara dir die Schaufel weggenommen hat?" trifft jetzt bei Max auf Resonanz. Mit der Erinnerung an die eigene Traurigkeit, kann er sich in das andere Kind hineinversetzen, seinen Schmerz nachfühlen. Das Nachfühlen, das Mitfühlen aber ist eine entscheidende Triebfeder für den Wunsch nach Gerechtigkeit. Wenn wir unsere Kinder also zu Menschen erziehen wollen, die einen Blick für die Ungerechtigkeit in der Welt haben, dafür ein Stück Verantwortung übernehmen wollen und bereit sind zu teilen, dann müssen wir sie in ihrer Fähigkeit unterstützen, mit anderen zu fühlen. Und dies aus ihrer eigenen Lebenswirklichkeit heraus. Anstatt Drei- oder Vierjährige mit einer Flutkatastrophe in China zu überfordern, sollten wir ehrliche Antworten geben auf Fragen wie diese: "Warum sitzt der Mann da mit dem Schild auf dem Boden?", "Warum hat Jule immer kaputte Sachen an?", "Wieso hat die Frau keine Beine?" Der Bettler in der Fußgängerzone hat kein Geld. Jules Eltern sind zu arm, um ihr neue Sachen zu kaufen. Die Frau hat durch einen Unfall beide Beine verloren.

Vielmehr allerdings als Gespräche und Lektüre wirkt das Beispiel der Erwachsenen. Wenn Kinder erleben, dass die Eltern von der Armut und dem Elend anderer betroffen sind und bereit zu teilen, dann kann man ziemlich sicher sein, dass auch ihnen Gerechtigkeit etwas wert sein wird. Papa steht in der Bahn für die gebrechliche alte Dame auf. Mama gibt dem Bettler etwas in seine Schale. Die Eltern sprechen darüber, wie viel sie "Brot für die Welt" oder "Missio" spenden wollen. Irgendwann kommt der Tag, an dem Max vom Schicksal einer afrikanischen Kriegswaisen erfährt und spontan sagt: "Ich schenke dem Kind meine Spardose. Dann kann es sich etwas kaufen."

Gut gemeinte Kinderbücher können dies kaum erreichen und auch nicht die Martinslegende, was aber keineswegs gegen sie spricht. Weil sie jedes Jahr neu aufgeführt wird, hält sie den Gedanken an Nächstenliebe auf ihre Weise wach. Was bei den Kleinen allerdings ankommt, hängt unter anderem davon ab, wie die Geschichte präsentiert und begleitet wird. Eltern, Erzieherinnen und Lehrerinnen sollten über sie sprechen und erklären, was schwer zu verstehen ist. Warum ritt der Heilige Martin auf einem Pferd, statt mit dem Auto zu fahren? Warum wird er in dieser merkwürdigen Kleidung dargestellt, noch dazu mit einem Schwert? Und was war das für ein seltsamer Mantel, den man durchschneiden konnte und der dennoch brauchbar war? Hilfreich für das Verständnis ist auch, wenn man die Geschichte auf die heutige Zeit überträgt. Da sind der Fantasie keine Grenzen gesetzt.

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