Leserbriefe

Selig, die Frieden stiften

Danke für die Darlegungen von Ludger Schwienhorst-Schönberger zu Jeremia (vor allem in CIG Nr. 9, S. 7 und Nr. 10, S. 19). Die Tragik des Propheten erschüttert mich. Und ich frage mich, wie es einem modernen Jeremia in Kiew, in Brüssel oder Moskau gehen würde. Mit meinen 84 Lebensjahren habe ich als Kind den Krieg erlebt. Die Ängste dieser Zeit erfassen mich noch heute, und ich kann zutiefst nachvollziehen, wie es den Menschen im aktuellen Kriegsgebiet geht, Zivilisten wie Soldaten, hüben wie drüben. Kein Gewinn von ein bisschen Land kann das menschliche Leid auch nur annähernd aufwiegen! Jedem Christen stünde es gut an, die in den Evangelien überlieferten Worte Jesu zur Richtschnur des eigenen Handelns zu machen, insbesondere die bei Matthäus (5,3ff.) und Lukas (6,20ff.) berichteten Seligpreisungen. Da die Akteure im Krieg aber offenbar die Bibel nicht kennen oder sie nicht lesen, sollten sie wenigstens einmal einen Blick in Stefan Zweigs „Welt von gestern“ werfen und wahrnehmen, was er zu seinem Erleben der Tage vor dem Ersten Weltkrieg geschrieben hat. Damals wie jetzt gilt es, „den Irrwitz in letzter Stunde (zu) verhindern“. Und auch heute wieder sind „die Kräfte, die zum Hass (drängen), ihrer niederen Natur gemäß vehementer und aggressiver als die versöhnlichen“, wie Zweig seinen Freund Romain Rolland zitiert.

Heinrich Preiß, Wendelstein

Am 30. April 1945 brachte ich im Alter von 23 Jahren in der provisorischen Entbindungsstation katholischer Ordensschwestern in Hochheim im Taunus meinen Sohn zur Welt. Drei Wochen zuvor gebar meine Schwester im Bunker ihr Kind. Heimlich hörten wir englisches Radio. So kam am 8. Mai die Frohe Botschaft des Kriegsendes auch an mein Ohr. Nie wieder Krieg – das war uns vor 77 Jahren sonnenklar. Und heute? Krieg in Europa! Unvorstellbar, aber wahr. Wie soll ich das meinen Urenkeln erklären? Vor genau 100 Jahren, am 18. März 1922, erblickte Egon Bahr in Treffurt, Thüringen, das Licht der Welt. Der Architekt der Ostpolitik Brandts gilt bis heute als einer der wegweisenden Außen- und Sicherheitspolitiker. Immer wenn ich auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof war, betete ich – mit Blick auf den markanten Gedenkkopf aus Stein – an seinem Grab um Frieden. Was würde Egon Bahr uns heute raten? Mir fehlen auch solche Welterklärer vom Schlage eines Peter Scholl-Latour. Wenn kein Mächtiger mehr selbst einen Krieg oder eine Diktatur erlebt hat, fallen Entscheidungen recht anders aus.

Luise-Kathrin Thomalla, Groß Sarau

Dass der orthodoxe Patriarch Kyrill I. sich mit den Machenschaften Putins abfindet, ist tatsächlich eine Schande für unser gemeinsames Christentum, wie Johannes Röser schreibt (vgl. „Putins Patriarch“ in CIG Nr. 10, S. 2). Allerdings vermisse ich auch, dass unsere katholische Kirche Jesus ganz konkret als Friedensaktivisten herausstellt. Hat er nicht – ähnlich wie Gandhi oder Martin Luther King – außergewöhnliche Wege zum Umgang mit „Feinden“ und Gewalt aufgezeigt? Und vergessen wir nicht, dass die friedliche Revolution in der DDR auch dadurch möglich geworden ist, dass Christen nach einer geistigen Energiesammlung in Kirchen den Sicherheitskräften gewaltlos, mit Kerzen in der Hand, gegenübertraten.

Simon Kirschner, Gaimersheim

Ich meine, jetzt ist die Zeit des Handelns für alle Religionen gekommen. Alle müssen aus der Beschäftigung mit den eigenen Interessen herauskommen. Es gilt doch, was Hans Küng formuliert hat: „Kein Friede ohne Religionsfriede!“ Gott ist der Gott der ganzen Schöpfung und aller Menschen. Die menschengemachten Lehren über den/die/das, was wir „Gott“ nennen, sind doch eher Deutungsversuche als ewige Wahrheiten. Die einzelnen Religionen müssen sich auf ihre wesentliche Aufgabe besinnen, nämlich auf die wirksame Vermittlung mystischer Erfahrungen für ihre Gläubigen. Nur mit dieser Grundlage können sie dann gemeinsam das so nötige und ersehnte „Weltethos“ schaffen.

Henrik Müller, Gröbenzell

Immer ein Verbrechen

Zu einem oft wiederholten „Mythos“ in der Missbrauchs-Debatte: Ich war 1968 Grundschullehrerin im Kölner Einzugsgebiet. Ein Mädchen aus meinem dritten Schuljahr wurde damals von einem Nachbarn missbraucht. Nachdem er überführt worden war, kam er vor Gericht, wurde verurteilt und bestraft. Also auch nach damaliger Rechtslage, dem Zeitgeist der sogenannten 68er und den herrschenden Moralvorstellungen war Missbrauch ein schlimmes Verbrechen. Deshalb komme man mir nicht damit, man müsse all das „historisch richtig einordnen“. Auch ich kenne die Geistesgeschichte jener Zeit, weil ich sie selbst erlebt habe. Aber ich kenne eben auch den Schmerz des Mädchens und seiner Mutter.

Marianne Solbach, Groß-Zimmern


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